■ Angela Merkel: Atomtransporte sind nicht rechtswirksam gestoppt: Demokratische Kontrolle unerwünscht
Ist das wirklich noch Dummheit? Da steht Angela Merkel im heraufziehenden Atomtransport-Skandal das Wasser bis zum Halse, und nun dies. Am 14. Mai erläßt sie einen sofortigen Stopp für alle Castor- Transporte aus Deutschland nach La Hague, am 20. Mai für die nach Sellafield. Nur: Rechtswirksam sind sie nicht. Anstatt das Bundesamt für Strahlenschutz formell anzuweisen, keine Transportgenehmigungen mehr zu erteilen, vertraut Merkel darauf, daß die Atomindustrie ihr gelauscht hat. Dieselben Leute, die ihr Vertrauen bitter enttäuscht haben – wie Merkel lamentierte –, sollen plötzlich auf Treu und Glauben ihre gefährlichen Geschäfte einstellen.
So reagieren vielleicht Liebende, die sitzengelassen wurden, aber das Debakel noch nicht wahrhaben wollen. Aber keine Minister. Wenn Merkel nicht einmal in der Lage ist, zur Lösung einer politischen Krise, die sie mitverschuldet hat, ihre Amtsmacht einzusetzen, muß sie gehen.
Doch schwerer als Merkels Dummheit wiegt ein anderer Gedanke: Daß dieses vermeintlich naive Treu-und-Glauben System hat. In seinem Buch „The Whale and the Reactor“ zeigte der US-amerikanische Techniktheoretiker Langdon Winner 1986, daß die Nutzung der Kernenergie einen totalitären Zug haben muß. Enormer Kapitaleinsatz, eine aufwendige Technik und hohe Sicherheitsrisiken erzwingen eine Infrastruktur, die nicht transparent sein darf, wenn das Unternehmen Profit machen soll. Demokratische Kontrolle gerät schnell zum Körnchen Sand, das die atomare Maschine zum Stocken bringt.
Deshalb darf eine demokratische Kontrolle keinen Ansatzpunkt finden. Das geht nur, wenn Verantwortlichkeiten unklar bleiben und Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind. Für die Entscheidungsträger untereinander gilt das Prinzip von Treu und Glauben. Das hat den Vorteil, daß im Falle eines Skandals nur der Kopf rollt, der zufällig in die Schußlinie gerät. Alle anderen bleiben in der Deckung und warten, bis sich der Rauch verzogen hat. Dieses Muster finden wir in den letzten Wochen immer wieder: Das Ministerium will nichts von den zuständigen Aufsichtsbehörden erfahren haben, die Chefetagen der Atomkonzerne wußten nicht, was die Techniker taten, die Behörden hatten keine Ahnung, was sie melden mußten. Denn die Meldepflichten waren Kann-Bestimmungen, nicht dazu geschaffen, Informationen der Außenwelt zugänglich zu machen, sondern im atomaren Komplex mögliche Profithindernisse festzustellen.
Wer nur Angela Merkels politische Dummheit im Blick hat, ist selbst dumm. Denn ihren Kopf opfert die Hydra der Atomindustrie gern. Niels Boeing
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