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Arbeit am real existierenden Mythos

■ Die „Partner für Berlin“ fliegen nach New York, um dort den „Flyer“ zu präsentieren. Während öffentliche Räume in Berlin knapp werden, prahlt man dort mit der kreativen Jugend

Berlin baut. Millionen von Touristen besuchten die Infobox, um das Werkeln auf dem Potsdamer Platz von oben zu betrachten. Doch nach vier Jahren ist absehbar, daß die Bauten fertig werden. Und da genauso absehbar ist, daß mit der dort einziehenden Langeweile zwar ein Staat zu machen ist, aber kein Image, muß etwas Neues her. So ähnlich wird es sich die vom Senat gegründete PR- Agentur „Partner für Berlin“ gedacht haben, als sie die Spitzen des Berliner Jugendkultur-Establishments in ein Flugzeug nach New York setzte. „Junges Berlin“ also statt „Schaustelle“. Denn der eine repräsentative Ausläufer der jugendkulturellen Berliner Neunziger, die Love Parade, steht vor der Tür, und das andere, der Flyer, hat gerade die transatlantische Schwelle überflogen. Seit Mai liegt das Partyveranstaltungsheft, das bisher nur in zahlreichen deutschen Städten vertreten war, monatlich in einer Auflage von 30.000 in New Yorker Clubs, Boutiquen und Plattenläden.

Warum also nicht Marc Wohlrabe, den Flyer-Herausgeber, und Ralf Regitz, den planetcom-Chef und Love-Parade-Organisator, in die Mutter aller Weltstädte fliegen und die Release-Party der New Yorker Flyer-Ausgabe mit einer Pressekonferenz verbinden? Zumal Berlin mit Klaus Biesenbach, dem Direktor der Berliner „Kunst-Werke“ und einem der Kuratoren des New Yorker Kunstzentrums PS1, schon einen Kultur-botschafter vor Ort hat. Hinein in den Flieger, repräsentiert, übernachtet, repräsentiert und wieder abgeflogen.

Berlins Entwicklung wird in den USA durchaus verfolgt. Die Zeitschrift Artforum ließ den Spex-Herausgebern Diedrich Diedrichsen und Tom Holert mehrere Seiten Platz, um sogenannte Briefe aus Berlin zu schreiben und das Cyberspace-Revolution-Magazin Wired widmet der werdenden Hauptstadt nicht nur eine acht Seiten lange Reportage, sondern auch ein vier Seiten großes Centerfold mit einem Baustellenfoto der Mitte Berlins. Doch was wird verhandelt, was steht für was? Während die Kölner Pop-Intelligenzija sich vor allem auf deutsche Identitätsbildung in Kunst und Film im Wandel der Jahre konzentrierte, geht es im Wired um Stadtplanung und die Stadt der Zukunft. Und während Wired, nach Gesprächen mit fast allen, die in New York als Jugendkulturabgesandte repräsentierten, zu der Einschätzung kommt, das neue Berlin habe vergessen, für seine Einwohner mit zu planen, statt dessen werde eine Stadt für Urbaniten gebaut, die wahrscheinlich nie kommen werden, wimmelte es im PS1 genau von dieser seltenen Spezies.

Den Gästen des „jungen Berlin“, einigen Jorunalisten, bot sich etwa folgendes Bild: eine Generation um die Dreißig, geschult durch die Erfahrungen der Zeit nach dem Mauerfall, geistig genauso mobil wie körperlich, immer bereit die Koffer zu packen und sie an die Wand neben dem Konferenztisch zu stellen, ist im Begriff, die Stadt umzukrempeln.

Während im Hintergrund Fernseher mit Aufzeichnungen von Baustellen-Happenings des amerikanischen Künstlers Gordon Matta-Clark liefen, der in den Siebzigern Häuser auseinandersägte oder Fassaden entfernte und der in einem anderen Flügel des Gebäudes mit einer Ausstellung vertreten ist, berichteten die Youth-Culture-Emissäre aus der „global workstation“. Marc Wohlrabe erzählte, wie er als Teenager mit Florian Peter in den UFO-Club gegangen sei, der von Ralf Regitz, jetzt drei Stühle weiter, betrieben wurde, und dieser umriß das Konzept und die Anfänge der Love Parade. Klaus Biesenbach gab einen Ausblick auf eine im PS1 zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls geplante Ausstellung, die sich dem Schaffen von jungen Berliner Kreativen widmen soll. Und auch Axel Wallrabenstein, mitgereister Sprecher des Kultursenators Peter Radunski, hatte nicht nur einen Flyer von „Partner für Berlin“ mitgebracht, der seinen Chef zeigt, wie er freundlich lächelnd zur Teilnahme an der Love Parade auffordert. Berlin habe den größten Kulturetat aller Städte Europas und eine sehr liberale Atmosphäre, „in der jeder machen kann, was er will“.

Daß es nicht zuletzt die Senatspolitik des permanenten Verengens öffentlicher Räume ist, die genau jenes Goldene Zeitalter, das präsentiert wurde, mittlerweile zu einem vorzeigefähigen Mythos werden ließ, war allerdings kein Teil der hauptstädtischen Selbstdarstellung.

Christine Hill, amerikanische Künstlerin, die zwischen Berlin und New York pendelt, brachte schließlich alles auf eine griffige Formel, die auch Kultursenator Radunski gefallen könnte: Die Neunziger in Berlin bekämen in Sachen Kreativität einmal den Status, den die frühen Achtziger in New York hatten. So fühlt sich junges Berlin in New York an: Arbeiten am real existierenden Mythos. Tobias Rapp

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