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ElephantenpostEin patriarchalischer Overkill

■ Praktische Erfolge von Lesben. Alltägliches und Neues aus dem Nachtleben von Bombay

„Das Machogehabe der indischen Männer fängt damit an, daß die Mütter ihren Söhnen als stehende Redewendung ins Ohr flüstern: ,Mein Sohn ist mein König.‘ Damit wird Jungen schon früh klargemacht, daß sie irgendwie besser als die Mädchen und Frauen sind.“ James, 42, erfolgreicher Designer in Bombay, gehörte Ende der 70er Jahre zu den ersten Schwulen, die ein halbwegs öffentliches Coming-out wagten. Als Sohn einer riesigen katholischen Familie mit diversen Bischöfen als Onkel war es damals eine drastische Erfahrung. „Wir waren eine Gruppe von acht befreundeten Schwulen – und das blieb so, bis Anfang der 90er plötzlich immer mehr Männer sich zu ihrer Homosexualität bekannten.“

Inzwischen gehört die „Bomgay-Szene“ zum Alltag des Nachtlebens. Vor allem im über die Stadtgrenzen hinaus bekannten „Voodoo-Club“, der Anfang der 70er Jahre unter dem Namen „Slipdisco“ als erste indische Discothek für Aufsehen sorgte und heute eine bunte Mischung aus reichen College-Boys, Busfahrern, Prostituierten und Touristen anlockt. Da Homosexualität nach wie vor als Straftat geahndet wird, existiert das schwule Leben nur mehr oder minder offen. Über die gerade vollzogene Eheschließung der „Queen von Kalkutta“ wurde erregt im „Voodoo“ diskutiert: Die Stimmung schwankte zwischen Verständnis und Verachtung. Während Ashish und Shanti die Eltern anklagten, sie hätten ihren Sohn durch das Erbe und drohenden Familienausschluß regelrecht erpreßt, nahm Lali Partei für die Ehefrau. Es sei unmöglich, sie auf diese Art und Weise zu mißbrauchen, zudem wisse er, daß sie inzwischen sogar telefonische Beischlafangebote von Bekannten ihres Mannes bekäme.

Im Unterschied zu männlicher Homosexualität existiert das lesbische Leben nicht einmal als Thema in Frauengruppen. Die 32jährige Soya sieht als Lesbe die harschen Verhältnisse dennoch mit pragmatischem Optimismus: „Die meisten Frauen, die ich kenne, haben einen patriarchalischen Overkill, der es mir oft erstaunlich leichtmacht, die ein und andere Dame zu verführen. Weil die indischen Männer vom Flirten keine Ahnung haben, braucht es meistens nicht viel mehr, als einer Frau das Gefühl zu geben, begehrenswert zu sein – und sie schmilzt dahin.“

Soya schreibt derzeit zusammen mit drei anderen Feministinnen das Drehbuch für die TV-Serie „Amras“, was soviel wie „Mango-Saft“ bedeutet. Ein Mango-Verkäufer, der sein Obst von Tür zu Tür bringt, ist die verbindende Figur. Das Konzept zu der Serie hat der schwule Filmregisseur Riyad Wadia entwickelt: „Viele haben es satt, in den Filmen und TV-Serien immer mehr devote und sich aufopfernde Frauen bzw. rein chauvinistische Männerfiguren zu sehen. In ,Amras‘ geht es darum, Bombay vier Jahre nach der kulturellen Liberalisierungsphase zu porträtieren und ganz nebenbei unsere konservativen Geschlechter-Stereotypen in Frage zu stellen.“

Wegen der strengen Zensurbehörde werden schwul-lesbische Themen höchstens andeutungsweise vorkommen, doch auch an dieser Front ist Riyad Wadia aktiv. Als Informant in der Sparte „Nightlife“ für zwei auflagenstarke Reiseführer hat er vor einigen Monaten außer „Voodoo“ drei weitere, bislang rein heterosexuelle Bars als vermeintliche Schwulentreffpunkte erwähnt. Mit Genugtuung beobachtet er nun, wie die zunehmende Präsenz schwuler Touristen im „HQ“, „Coca Cabana“ und „Ghetto“ diese Orte auch für die „Bomgay- Szene“ immer attraktiver werden läßt, wenngleich das Ganze bislang noch ein wenig auf Kosten irritierter Westler gespielt wird. Dorothee Wenner

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