Analyse: Ungleiche Partner
■ Rußlands Präsident besucht Bonn
Viel hat der Besuch Boris Jelzins in Deutschland nicht erbracht. Die heiklen Themen auf der deutsch-russischen Agenda wurden wohlweislich ausgespart. Die Visite hatte einen eher symbolischen Charakter. Das erste konsultative Treffen zwischen beiden Ländern – so genannt, weil eine hochkarätige Ministerdelegation mitanreiste und sich mit ihren deutschen Amtskollegen traf – wertete Moskau formell zu einem Partner auf, dem mittlerweile Aufmerksamkeit zuteil wird, wie sie sonst nur unter den wichtigen EU-Mitgliedern üblich ist. Balsam für das angeschlagene Selbstbewußtsein der degradierten Supermacht, die konzeptionslos nach einem gebührenden Platz in der Weltordnung sucht.
Im Vergleich zu anderen Staatschefs der westlichen Hemisphäre kann sich Boris Jelzin bei Helmut Kohl auf Empathie und zumindest gewisse Hilfestellungen verlassen. Insgeheim mag der russische Präsident gehofft haben, der scheidende Freund werde noch einmal einen größeren Kredit zur Verfügung stellen, auch wenn sich Jelzin offiziell den Anschein gab, sein Land überwinde die Folgen der Finanzkrise aus eigener Kraft. Vizepremier Nemzow hatte am Vorabend der Visite ganz andere Signale ausgesandt: Ein Hilfspaket der internationalen Gemeinschaft könne die Genesung der russischen Wirtschaft erheblich beschleunigen und „wäre eine wirkliche Hilfe“. Läßt sich die Bonnreise am Ende doch noch versilbern? In Paris warten heute die stellvertretenden Finanzminister der G 7 auf den Bericht des Kanzlers, und auch der IWF – bisher unwillig, mehr als die bereits vereinbarten Tranchen zu überweisen – könnte noch einmal zum Nachdenken aufgefordert werden. Rußland in schwieriger Lage unter die Arme zu greifen versteht sich von selbst, da es unserem eigenen Sicherheitsbedürfnis entspricht.
Doch nützen die Finanzspritzen dem Land längerfristig tatsächlich, oder verlängern sie nicht ein ums andere Mal die Fahrt im Teufelskreis? Zwar hat der von Rußland nicht zu verantwortende Fall des Ölpreises erheblich zum Finanzdefizit beigetragen, er wirkte indes nur als Auslöser. Kostensparende Strukturreformen, ein nachvollziehbarer Steuerkodex, transparente Handhabung beim Verkauf des Staatsbesitzes und ein Ende der Vetternwirtschaft wären essentielle Maßnahmen, den maroden Haushalt auf solide Füße zu stellen. Seit Jahren kündigt der Präsident entschiedene Schritte an, läßt Dutzende Köpfe rollen, doch dann erlahmt seine Initiative. Kein Wunder, denn die pekuniäre Unterstützung reduziert den Handlungsdruck und räumt die Möglichkeit ein, verschiedene Lobbys ruhigzustellen. Wenn es unter den Füßen heiß wird, wirkt der Präsident aufgeräumt und legt eine überraschende Umtriebigkeit an den Tag. Auch diesmal ist es so. Offenkundig bereitet sich Boris Jelzin schon auf den Wahlkampf um eine dritte Amtsperiode vor. Geld käme ihm da durchaus zupaß. Klaus-Helge Donath
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