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DebatteNicht mehr, anders arbeiten

■ Sybille Volkholz: Die Lehrerarbeitszeit muß reformiert werden

Der Senat hat kürzlich eine Vereinbarung über die Lehrerarbeitszeit geschlossen, bei der Arbeitszeitkonten eingeführt werden. Das könne allerdings erst der Beginn einer wirklichen Reform sein, vertritt die Abgeordnete und ehemalige Schulsenatorin Sybille Volkholz (Bündnis 90/Die Grünen) in ihrem Debattenbeitrag

(d. Red.).

Formell wird die Lehrerarbeitszeit über die Unterrichtsverpflichtung festgelegt. Natürlich umfaßt die Arbeit erheblich mehr. Vor- und Nachbereitung, Korrekturen, Schüler- und Elterngespräche, Konferenzen etc. Allerdings fällt die zeitliche Belastung dafür sehr unterschiedlich aus.

Je nach Fach und Korrekturbedarf, aber auch nach Engagement arbeitet ein großer Teil erheblich mehr als im öffentlichen Dienst üblich, ein Teil kommt allerdings auch mit geringerem Zeitaufwand aus. Eine solche Spannbreite faktischer Arbeitszeit kann schon unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht hingenommen werden.

Eine neue Regelung der Arbeitszeit muß also mehr Gerechtigkeit zwischen den unterschiedlich belasteten Lehrkräften schaffen, sie muß mehr Zeit für SchülerInnen und die Schulentwicklung zur Verfügung stellen, und sie muß die Kooperation anregen.

Kinder und Jugendliche brauchen eine andere Organisation von Unterricht. Gerade die, die als immer schwieriger, unkonzentrierter, eigenwilliger dargestellt werden, als weniger bereit, in größeren Gruppen diszipliniert zu lernen, brauchen einen Unterricht, der nicht im 45-Minuten-Takt und überwiegend frontal ausgeführt wird.

Wissen in verhältnismäßig kurzen Zeiteinheiten zu verabreichen ist nicht konzentrationsfördernd. Längere Phasen intensiver eigenständiger Erarbeitung von Unterrichtsgegenständen erreichen dies besser. Die Lehrerarbeitszeit mit 45-Minuten-Unterrichtsstunden ist für eine solche Reform das größte Hindernis.

Eine Schwachstelle ist die mangelnde Kooperation. Lehrkräfte, die sich z.B. gegenseitig im Unterricht besuchen, können voneinander lernen, die gemeinsame Auswertung von Erfahrungen kann eine erhebliche Bereicherung sein.

Mehr Kooperation und Arbeitsteilung in der Unterrichtsvorbereitung und der Sammlung von Materialien kann zu Zeitgewinn führen, der für die Beratung von SchülerInnen genutzt werden kann.

Die Struktur der Lehrerarbeitszeit klopft ein Verständnis der Lehrerrolle fest, die vor allem für den jeweiligen Fachunterricht verantwortlich ist. Damit läßt sich heute keine Schule mehr machen. Eine Schule mit mehr Autonomie braucht ein Zeitbudget für die Schulentwicklung.

Ein mögliches Modell neuer Arbeitszeit könnte folgendermaßen aussehen. Zugrunde gelegt wird die Jahresarbeitszeit des öffentlichen Dienstes – unter Verrechnung der Ferien wird sie auf die verbleibenden Schulwochen verteilt.

Angenommen, man käme zu einer Wochenarbeitszeit von 45 Zeitstunden, könnten dann von diesen ein Drittel (15 Stunden) in der individuellen Verfügbarkeit verbleiben, zum Beispiel für Korrekturen und Vor- und Nachbereitung. Zwei Drittel der Arbeitszeit (30 Stunden) aber würden durch die Schule verteilt.

Von diesem Teil wäre ein Teil Unterricht, ein Teil Beratung und Betreuung von Schülern, ein anderer Teil Arbeit am Schulprogramm. Die Festlegung der Unterrichtszeit sollte innerhalb einer Bandbreite vorgenommen werden, die die unterschiedliche Korrekturbelastung berücksichtigt. Dies kann innerhalb dieser Bandbreite in der Schule geregelt werden.

Bisherige Berichte über neue Arbeitszeiten bewerten den Kooperationsgewinn und den pädagogischen Nutzen für die SchülerInnen hoch.

Eine Verringerung des subjektiven Belastungsgefühls und steigende Arbeitszufriedenheit zählen vielleicht mehr als eine Stunde mehr oder weniger Unterricht. Dies sollte bei der Diskussion um die Arbeitszeit eine größere Rolle spielen. Voraussetzung für das Funktionieren der Modelle ist, daß ein anderes Verständnis von der Lehrerrolle und ihrer Verantwortlichkeit für die Organisation der Schule erreicht wird. Sybille Volkholz

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