Analyse: Bruder Milosevic?
■ Rußlands Haltung zum Kosovo ist durch die Innenpolitik bestimmt
Moskau berief gestern seinen Repräsentanten im Hauptquartier der Nato, General Viktor Sawarsin, nach Moskau zurück. Aus Protest gegen die Luftmanöver der Allianz in der Nähe des Kosowo, hieß es. Washingtons Begründung, die Manöver seien gedacht, um Präsident Jelzins Verhandlungsposition mit Milošević heute im Kreml zu stärken, nahm Moskau mit einem gequälten Lächeln entgegen. Warum um den heißen Brei herumreden? Die USA haben erneut gezeigt, daß Rußland keine Größe ist, mit der Washington noch rechnet. Während Moskau auch gar keine andere Reaktion erwartet hat. Im Gegenteil, hätte die andere Seite nach Verständigung gesucht, wäre die russische Außenpolitik in einen Erklärungsnotstand geraten.
Das bedeutet nicht, Rußlands Warnungen vor einer allzu offenen Bevorzugung der Kosovo-Albaner, die diese ermuntern könnte, staatliche Souveränität zu verlangen und dadurch die Eskalationsspirale der Gewalt auf Seiten der Serben hochzuschrauben, besäße keine Plausibilität. In der russischen Kosovopolitik geht es nicht um das Schicksal der albanischen Bevölkerung, ebensowenig steht die Solidarität mit dem serbischen Brudervolk erneut auf dem Prüfstand. Was vielleicht noch zählt, ist die russische Befürchtung, zuguterletzt auch noch den Balkan als – fiktive – Einflußsphäre zu verlieren. Viel mehr ist Moskau daran gelegen, sich durch eine antiamerikanische Haltung zu profilieren, zugleich aber nicht in eine antiwestliche, sprich antieuropäische zu verfallen. Nicht zufällig ist vom französischen Akzent russischer Außenpolitik in letzter Zeit verstärkt die Rede. In der Kontaktgruppe wird Moskau die Nähe Paris' und Roms suchen.
Vornehmlich innenpolitische Erwägungen bestimmen die russische Position. Solange der Kreml hart bleibt, hält sich auch die Opposition mit Kritik zurück. Würde Moskau Sanktionen zustimmen, hätte Rußland am härtesten zu leiden, ohne dafür Gratifikationen erwarten zu dürfen. Da dem Land keine Mittel zur Verfügung stehen, könnte es sich bei einem Nato-Einsatz zudem nicht einmal beteiligen.
Gravierender wirkt sich die Furcht vor der Internationalisierung eines ethnischen Konfliktes aus, der einen Präzedenzfall schaffen könnte. Serbiens territoriale Integrität rangiert in Moskau ganz obenan – hat doch der Kreml den ethnischen Flickenteppich der Russischen Föderation vor Augen. Tschetschenien stand am Anfang, der nächste Konfliktherd könnte Dagestan sein. In jenem Fall möchte Rußland dann ganz für sich sein. Viel wird Jelzin im Gespräch mit Milošević nicht ausrichten können. Rußlands Einfluß auf den Serben wird im Westen überschätzt. Vielmehr könnte Milošević den Russen benutzen, um im Westen mehr herauszuschlagen. Belgrad schaut nicht nach Moskau. Klaus-Helge Donath
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