: Wohnungsunternehmen halten Vertrag nicht ein
Weil GEWOBA und Co Wohungslose nicht wie mit der Stadt vereinbart unterbringen, müssen mehr Menschen als nötig in teuren Heimen leben ■ Von Volker Busch-Geertsema
Bremens größte Wohnungsgesellschaft, die GEWOBA, legte jüngst ihren Jahresabschluß für 1997 vor. Der Gewinn übertraf mit rd. 9 Mio. DM das Vorjahresergebnis deutlich. In Bremen sei der Wohnungsmarkt ausgeglichen, so die GEWOBA. Nennenswerte Leerstände gebe es keine. Es scheint dem Image nicht zu schaden, daß die GEWOBA – ebenso wie andere Wohnungsunternehmen in Bremen – ihre vertraglichen Verpflichtungen zur Wohnungsversorgung von besonders Benachteiligten nicht einhält. Heute berät die Stadtbürgerschaft dieses Thema.
Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen in Bremen können von der Entspannung am Wohnungsmarkt weit weniger profitieren als die übrige Bevölkerung. Die Zahl der Wohnungslosen, denen vom Bremer Amt für Wohnungs- und Städtebau eine Wohnungsnotstandsbescheinigung mit besonderer Dringlichkeit ausgestellt wird, sinkt nicht – sie steigt! Nach wie vor stoßen Strafentlassene, Substituierte und andere Wohnungslose auf Ablehnung bei Vermietern und müssen statt dessen in Einrichtungen und Sonderwohnformen untergebracht werden. Das ist nicht nur teuer, es widerspricht auch dem Wunsch der meisten Betroffenen nach einem eigenen Zuhause und einer selbstbestimmten Privatsphäre.
Der Wohnungsnotstandsvertrag
Dabei hat die Stadt Bremen mit den Bremer Wohnungsunternehmen einen Vertrag geschlossen, der den Vorrang von „Wohnungsnotstandsfällen“ bei der Belegung von Sozialwohnungen sicherstellen soll. Der schon seit 1981 bestehende Vertrag – der auch als „Bremer Modell“ in die Fachliteratur Eingang gefunden hat – wurde 1994 überarbeitet und von allen großen Sozialwohnungsunternehmen unterschrieben. Die Unternehmen verpflichten sich darin, 60 Prozent aller jährlich vergebenen Sozialwohnungen (abzüglich der Umzüge im Bestand) an Haushalte zu vergeben, die eine Wohnungsnotstandsbescheinigung vorlegen. Nach dem erklärten und schriftlich festgelegten Willen der Unternehmen sollen zwei Drittel dieser Wohnungen, also 40 Prozent aller jährlich freiwerdenden Sozialwohnungen an Wohnungsnotstandsfälle der Dringlichkeitsstufe 1 vergeben werden. Dabei handelt es sich um Wohnungslose, die überhaupt keine Unterkunft haben oder mangels Wohnraum in Notunterkünften, betreuten Wohnformen, Wohnheimen, Pensionen etc. untergekommen sind. Auch wohnungslose Drogenabhängige/Substituierte und Strafentlassene sind der Dringlichkeitsstufe 1 zugerechnet. Bei den übrigen Wohnungsnotstandsfällen (Dringlichkeitsstufe 2) handelt es sich um Räumungsbetroffene und Haushalte in unzumutbaren Wohnverhältnissen.
Für die Wohnungsunternehmen bringt der Vertrag eine Reihe von Vorteilen: Bremen verzichtet darin ausdrücklich darauf, für jede freiwerdende Sozialwohnung drei konkrete wohnungssuchende Haushalte zu benennen, von denen einer versorgt werden muß. Solche bundesgesetzlich vorgesehenen Regelungen, die das Auswahlrecht der Wohnungsunternehmen für öffentlich geförderte Wohnungen einschränken, gelten beispielsweise in Hamburg, Niedersachsen, Hessen, Bayern und neuerdings auch in Nordrhein-Westfalen.
In Bremen verpflichten sich die Unternehmen lediglich zur Vergabe eines bestimmten Anteils der Wohnungen an Wohnungssuchende mit besonders dringlichem Bedarf. Finanzielle Garantiezusagen der Stadt vermindern darüber hinaus wirtschaftliche Risiken bei der Vermietung an „Wohnungsnotstandsfälle“.
Die Ergebnisse in der Praxis
Jetzt hat der Bremer Senat durch die Antwort auf eine große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen die Ergebnisse des Wohnungsnotstandsvertrages in den vier Jahren nach seiner Neufassung zum 1.1.1994 offengelegt. Die Zahl der Wohnungsnotfälle insgesamt blieb mit zuletzt rd. 2.500 Fällen im Jahr 1997 auf einem hohen Niveau, auch wenn sie seit 1995 (rd. 2.800) leicht gesunken ist. Die Zahl der Wohnungslosen mit entsprechender Bescheinigung (Dringlichkeitsstufe 1) ist dagegen in jedem Jahr gestiegen, von 761 im Jahr 1994 auf 1.306 im Jahr 1997. Dies entspricht einer Zunahme um mehr als 70 Prozent in vier Jahren.
Dennoch hätten die vereinbarten Quoten bis 1996 ausgereicht, um zumindest allen Wohnungslosen mit entsprechender Bescheinigung eine Sozialwohnung zu vermieten und auch noch einen Großteil der übrigen Wohnungsnotfälle zu versorgen. Bei Erfüllung des Wohnungsnotstands-vertrags hätten Jahr für Jahr über 1.000 Wohnungen zur Vermietung an Wohnungslose zur Verfügung gestanden.
Aber statt der vorgegebenen 40 Prozent wurden von 1994 bis 1997 nur durchschnittlich 12 Prozent der freiwerdenden Sozialwohnungen an Wohnungslose vergeben. So sind in den vier Jahren beispielsweise von der GEWOBA nur 9,9 Prozent von der BREBAU nur 6,8 Prozent und von der GEWOSIE 3,3 Prozent der vergebenen Wohnungen an Wohnungslose vermietet worden.
Auch bei den Wohnungsnotstandsfällen insgesamt (Dringlichkeitsstufe 1 und 2) blieben die Ergebnisse weit hinter der vereinbarten Quote zurück Die einzige Ausnahme im Konzert der vertragsbrüchigen Unternehmen stellt die Bremische Gesellschaft dar. Sie hat nach den Angaben des Senats ihr Soll zumeist übererfüllt.
Vertragsbruch ohne Konsequenzen?
Wenn Verträge nicht eingehalten werden, stellt sich die Frage nach den Konsequenzen. Der Vertrag selbst sieht keine Sanktionsmöglichkeiten vor. Zwar werden die Ergebnisse vierteljährlich dem zuständigen Amt für Wohnungs- und Städtebau gemeldet, aber auch nach dem vierten Jahr der Nichteinhaltung des Vertrages zeugt die Antwort des Senats von großer Hilflosigkeit: „Die Wohnungsunternehmen (...) werden in Einzelgesprächen nach den jeweiligen Gründen gefragt und ggf. aufgefordert, ihre Vergabepraxis mit dem Ziel zu verändern, wieder mehr Wohnungsnotstandsfälle als Mieterhaushalte zu akzeptieren“.
Die rechtliche Möglichkeit, den Vertrag zu kündigen und durch eine Verordnung die Unternehmen zur Versorgung von vorgeschlagenen Bewerbern zu verpflichten, wird in der Senatsantwort nicht einmal erwähnt. Für die wohnungslosen Betroffenen sind die Konsequenzen klar. Diejenigen, die auf soziale Unterstützung angewiesen sind und damit erwiesenermaßen auch in normalen Wohnungen zurechtkommen könnten, müssen mit Einrichtungsplätzen und zwangsgemeinschaftlichen Wohnformen vorlieb nehmen.
Mit Recht verweisen Wohnungsunternehmen darauf, daß die Sozialarbeit für Wohnungsnotstandsfälle in der Vergangenheit oft nicht ausgereicht hat und bei Problemen kein Ansprechpartner da war. Ein Programm, mit dem solche Hilfsangebote im Normalwohnraum verbessert und ausgebaut werden, die Wohnungslosen mit Sozialwohnungen versorgt und Einrichtungsplätze abgebaut werden, würde allen Beteiligten nützen. Die Sozialbehörde könnte Geld sparen und vielen Wohnungslosen könnte der Traum von der eigenen Wohnung verwirklicht werden.
Der Autor ist Sozialwissenschaftler bei der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) in Bremen.
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