: Träume von Zigaretten
In den USA wird viel geschrieben. Wer schreiben kann, lehrt andere zu schreiben. Was dabei herauskommt, ist die „middle brow literature“, die auf den internationalen Märkten gern genommen und gelesen wird. Was ist dran an diesen Texten für jede Gelegenheit? ■ Von Kolja Mensing
Es gibt Bücher, die sind richtig toll. Es gibt auch Bücher, die sind einfach nur schlecht. Und es gibt welche, die sind okay. Solche Okay-Bücher werden zwar viel gelesen, aber sie haben ein Imageproblem: Weil sie nicht für Großrezensionen oder den weitblickenden Trendartikel taugen, purzeln sie schneller, als es den Autoren und Verlegern lieb ist, aus den Diskussionen heraus, die dem Lesen nun einmal beigeordnet sind. Zumindest hierzulande. In Amerika, wo die meisten dieser Bücher herkommen, ist man gleich viel netter zu ihnen und hat sogar einen Namen für sie: middle brow literature.
Was ist so toll an der halbtollen Literatur aus Amerika? Zum Beispiel an „Stoff ohne Ende“ von Daniel Woodrell: Der thirtysomething Doyle Redmond hat nichts Besonderes zu tun und findet es deshalb ganz in Ordnung, daß seine Eltern einen Auftrag für ihn haben: Doyle soll in den Süden Missouris fahren, in die Ozark Hills. Und seinen Bruder Smoke zur Vernunft bringen, der dort eine illegale Marihuana-Pflanzung betreibt. „Ich hatte Familienkram zu regeln, mehr nicht, aber ich beschloß, dies nicht ohne Pistole zu tun.“
Es folgt eine rasante Geschichte, die alle Ingredienzen der middle brow literature enthält: leicht skurril angehauchte Charaktere, ein paar moderne amerikanische Mythen und ein Haufen Kinobilder aus der Neuen Welt. In diesem Fall sind es gewaltbereite Rednecks und geldgeile Späthippies, die in einer bizarren Landschaft Wilder Westen und Al Capone spielen. Gesamteindruck: „Stoff ohne Ende“ geht nach vorne los. Man kauft es als Urlaubslektüre und hat es nach zwei Stunden Strand ausgelesen.
That's it. Beinahe. Denn zur Bedürfnisbefriedigung des Midbrow- Lesers durch eine grundsolide Geschichte kommt noch ein anderes Element dazu, und erst dadurch rasten die Augenbrauen dann wirklich in der Mittelposition ein: die Meta-Ebene. Woodrells Protagonist Doyle Redmond ist nämlich Schriftsteller, hat (genau wie sein Autor) nach ein paar Flegeljahren glücklich in einem Schreibkurs sein Ding gefunden und befindet sich natürlich – während er mit seiner Pistole in die Ozark Hills aufbricht – gerade in einer akuten Schreib- und Sinnkrise. Real life meets writing reality: Das ist das Motto mittelprächtiger amerikanischer Erzählertalente, nachdem sie jahrelang in „creative writing“-Seminaren abgehangen haben. Und heute in den meisten Fällen selbst dort unterrichten.
Highbrow-Ritterschlag vom Feuilleton
Wie Stewart O'Nan, Schriftsteller und „creative writing“-Lehrer am Trinity College in Hartford. O'Nans zweiter, auf deutsch erschienener Roman „Speed Queen“ beginnt da, wo „Stoff ohne Ende“ aufhört: in einem Gefängnis. Und so, wie der Loser Doyle Redmond zum Schluß hofft, seine Verurteilung wegen Totschlags wenigstens in skandalösen Autorenruhm umwandeln zu können, so hofft Margie Standiford im Todestrakt des Staatsgefängnisses von Oklahoma auf die Macht des Wortes. Dort ist sie nach einem mißglückten Drogendeal und einer bluttriefenden Flucht quer durch die Vereinigten Staaten gelandet. In der Nacht vor ihrer Hinrichtung spricht sie ihre verpfuschte Lebensgeschichte auf zwei Kassetten – Stephen King, Bestseller-Monstrum und verdientermaßen der „King of Horror“, hat die Rechte an ihrer Biographie mit viel Geld gekauft.
O'Nans Buch funktioniert als Road-Movie, und überhaupt ist die „Speed Queen“ mehr ein Film als ein Buch. „Natural Born Killers“ und „Bonnie und Clyde“ liefern zusammen mit Nineties-Splatter- Movies wie „True Romance“ das blutrote Bildprogramm. Der Soundtrack würde – wäre die „Speed Queen“ wirklich ein Film – sofort in die Charts klettern: Während Margie und ihr Lover sich bis an die Haarspitzen mit Aufputschpülverchen vollknallen und über den Highway brettern, hören sie „Land Speed Record“ von Hüsker Dü oder „Radar Love“ von Golden Earring und flüchten so für ein paar Stunden aus der amerikanischen Provinztraurigkeit.
So ein Film 'n' Soundtrack-Buch verlangt nichts vom Leser – es überfällt ihn einfach mit Getöse. Trotzdem wurde die „Speed Queen“ bisher nicht einfach nur als gelungene U-Literatur rezipiert. Weil O'Nan für sein spröde-poetisches Debüt „Engel im Schnee“ in Deutschland den Highbrow-Ritterschlag vom Feuilleton und dem Literarischen Quartett bekommen hatte, muß man sich schon ein bißchen anstrengen. Der Moralapparat des deutschen Rezensententums verarbeitete deshalb O'Nans ironische Bemerkungen zur Todesstrafe und verwies auf die grausige Aktualität: Bereits zwei Frauen wurden in diesem Jahr in den Vereinigten Staaten hingerichtet, und die „Speed Queen“ war ein guter Anlaß, ein paar Worte dazu zu verlieren, wie die amerikanische Gesellschaft Gewalt mit Gegengewalt, Unmoral mit Scheinmoral beantwortet.
Dabei ist der Hype, mit dem O'Nan seine Uptempo-Erzählung vom Trivial-Pol abzieht, im Grunde genommen viel interessanter. Sein ganzes Spiel mit Stephen King ist nämlich nur vermeintlich ironisch. Klar: Er läßt Margie als naive Kennerin des King-Werks auftreten und entlarvt mit ihren Randbemerkungen die Erzählmaschine des Büchermillionärs. „Man sollte meinen, Sie würden mit so was anfangen wie Mom oder Dad oder damit, wie ich als Kind war“, läßt er Margie überlegen, die sich im Werk des Meisters auskennt: „Mich dabei zeigen, wie ich hinterm Hühnerstall Dreirad fahre, das Haar zu Zöpfen geflochten, vorstehende Zähne, irgend so was Niedliches. Dann könnten Sie sagen: Sie war ein ganz normales Mädchen, und sehen Sie, was aus ihr geworden ist.“
Das ist die Oberfläche, mit der O'Nan etwas für den Kopf seiner Midbrow-Zielgruppe tut. Unten drunter bedient er sich schamlos bei King, und „Speed Queen“ ist, vergißt man für ein paar Seiten das ironische Augenzwinkern, eigentlich ein King-Plagiat: mit neuer Lackierung und neuen Nummernschildern als Mittelklasse-Modell getarnt.
Antrainierte Besessenheit
Man weiß nicht so genau, was die jungen Amerikaner in ihren Besser-Schreiben-Seminaren an der Highschool, auf dem College oder sonstwo lernen. Schreiben können sie ja meistens ganz gut. Auf jeden Fall aber trainieren sie sich im Unterricht eine gewisse Besessenheit vom Schreibprozeß selbst an. Nicht die schwere Wie-drücke-ich- das-Unaussprechbare-höchst-verschwurbelt-aus-Besessenheit der deutschen Nachwüchsler, eher eine locker-flockige Obsession: „Ich sitze hier gerade so malerisch über meinen IBM gebeugt – warum sollte ich das nicht gleich in meinen Roman einbauen?“
Schnoddern und listige Schreibstrategien
Es gibt natürlich Unterschiede. Woodrell zum Beispiel schnoddert von oben herab, während O'Nan eher listig versucht, die trivialen Schreibstrategien zu vereinnahmen. Die kitschige Variante wird in dieser Saison durch Jo Ann Beards Erinnerungsbuch „Die Jungs meiner Jugend“ vertreten. Die Erzählerin wächst als unglückliches Mädchen auf, wird auch als Erwachsene nicht glücklich, findet aber wenigstens auf dem Papier zu sich selbst. Sie schreibt. So zum Beispiel: „Ich trank Bier und träumte verworren von Zigaretten, ich brachte fast fünfzig Seiten von meinem Roman zu Papier. Die liegen jetzt in meinem Koffer und fangen schon langsam an zu verrotten. O Mann, brauche ich jetzt dringend einen Kaffee.“ Das Buch strotzt nur so vor solchen und ähnlichen Genrebildern, die manchmal durch Selbstanzeige („Ein Genrebild: ...“) entschärft werden.
In die Midbrow-Sektion „schrill“ gehört Duff Brennas „Das heilige Buch der Bärte“: eine überkandidelte Großstadtgeschichte von der Westküste. Mit dem dicken Koch Henry, der per Kontaktanzeige nach Romanzen sucht, dem coolen Slacker Jasper, der gläubigen Mary und dem durchgedrehten Professor Godot – die sich allesamt erfolglos am guten, wilden Großstadtleben versuchen. „Das heilige Buch der Bärte“ liest man und hat ein paar Tage später die Handlung vergessen, weiß nur noch, daß es echt lustig ist. Und daß es ums Schreiben geht.
Gezwungenermaßen: Denn wenn eine Handlung dürftig ausfällt, ist es schwer, einen Schluß zu finden und den nicht vorhandenen Erzählkreis zu schließen. Duff Brenna macht also ganz einfach
Fortsetzung Seite 14
Fortsetzung von Seite 13
den Anfang zum Ende, schließt wenigstens den Metakreis. Der Slacker wird von seiner literarisch ambitionierten, aber hoffnungslos untalentierten Freundin verlassen, die jedoch erfreulicherweise ihre Schreibmaschine zurückläßt: „Jasper hat sich das Zwei-FingerAdler-Suchsystem beigebracht. Jetzt möchte er der Welt gern von Henry, Godot und den anderen erzählen, glaubt er. Mary hält ihn für einen recht vielversprechenden Schriftsteller, auch wenn sie ihn oft dazu drängt, die Sexszenen in seinem Buch zu kürzen.“
Das tut Jasper natürlich nicht. Und es geht ja auch gar nicht um die Bettszenen. Daß in diesem Buch ab und an ausführlich und lautstark Liebe gemacht wird oder vielleicht anderswo farbenfroh das Blut fließt, ist schließlich nicht die Substanz, sondern eher das schmückende Beiwerk eines Midbrow-Romans. „Stoff ohne Ende“, „Speed Queen“, „Die Jungs meiner Jugend“ und „Das heilige Buch der Bärte“ – vier Bücher, in deren Zentrum der Akt des Schreibens kaffeeschwitzend, ironisch mit den Tasten klappernd und manchmal lustig sinnkriselnd in aller Öffentlichkeit vor den Augen der Leser vollzogen wird: Die amerikanische Mittelklasse-Literatur ist obszön. Und – so ist das nun mal mit dem Obszönen – gerade das macht sie so attraktiv.
Jo Ann Beard: „Die Jungs meiner Jugend“. Aus dem Amerikanischen von Sabine Lohmann. btb, München 1998. 280 Seiten, 36,90 DM
Duff Brenna: „Das heilige Buch der Bärte“. Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg. Rogner und Bernhard, Hamburg 1998, 402 Seiten, 30 DM
Stewart O'Nan: „Speed Queen“. Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998, 253 Seiten, 39,80 DM
Daniel Woodrell: „Stoff ohne Ende“. Aus dem Amerikanischen von Jochen Schwarzer. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1998, 218 Seiten, 36 DM
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