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Tiedje im Bergischen Land

Wie der Vorsitzende eines kleinen CDU-Verbandes mit den „perfiden Weibergeschichten“ des SPD-Kandidaten Gerhard Schröder Stimmung machen wollte  ■ Aus Heiligenhaus Markus Franz

Heiligenhaus. Eine an sich friedlich von der CDU regierte 29.000-Einwohner- Stadt im Bergischen Land. Sanft gewellte Hügel, ertragreiche Felder, dichter Wald. Doch die besinnliche Stimmung des Städtchens scheint ihre Wirkung auf die Stimmung eines Teils der Bevölkerung zu verfehlen. Eine Angst geht um bei der CDU: die Bundestagswahl. Wie sollen wir unsere Mitglieder nur zum Wahlkampfauftakt mit Bundeskanzler Helmut Kohl in Dortmund mobilisieren?, fragte sich der Vorsitzende des Heiligenhauser Stadtverbandes, Ralf Herre, und schrieb einen Brief an alle Mitglieder: „Die Bundestagswahl 1998 steht vor der Tür“, fängt das Schreiben kein Wässerchen trübend an. „Es gilt, unsere freiheitliche Demokratie gegen den Kommunismus zu verteidigen. Wir haben den Osten nicht befreit, um uns unter das Diktat der SED-Schergen zu begeben!“ Regierungssprecher Hauser läßt grüßen. Wenige Tage nach seiner Berufung hatte er den Ostdeutschen gedroht, die Mittel für den Aufbau Ost zu kürzen, wenn sie die PDS wählen.

Aber die Heiligenhauser haben noch weitere Pfeile im Köcher, die vom einstigen Bild-Chef und heutigen Kanzlerberater Hans-Hermann Tiedje stammen könnten: „Schröder sind alle Mittel recht, damit er seine perfiden Weibergeschichten mit der Macht eines deutschen Bundeskanzlers intensiver betreiben kann.“ Gemeint ist offenbar, daß Schröder im vergangenen Jahr zum vierten Mal geheiratet hat. Dem Verfasser ist das Schreiben heute peinlich. „Wenn ich gewußt hätte, daß es an die Öffentlichkeit kommt, hätte ich das nicht so geschrieben.“ Natürlich seien die Äußerungen maßlos übertrieben. Aber wie solle man sonst die Leute hinter dem Ofen hervorholen?

Herr Herre hat in der Tat ein Problem. Schließlich geht es bloß um den Wahlkampfauftakt mit Bundeskanzler Kohl, dem CSU- Parteivorsitzenden Theo Waigel, dem Generalsekretär Peter Hintze, Umweltministerin Angela Merkel und Arbeitsminister Norbert Blüm. Wer geht da schon ohne weiteres hin? Mit Kohl und seinem Team Wahlkampf zu machen scheint nicht vielversprechend, also lieber den Kanzlerkandidaten der Konkurrenzpartei demontieren. „Es ist zur Zeit schwierig, die Leute für Politik zu motivieren“, sagt Herre. Die Bevölkerung habe das Gefühl, es gehe nichts richtig voran, Dinge würden nicht angepackt. „Der Bundestag kriegt nichts gebacken, und der Bundesrat blockiert.“ Das mache die Leute müde.

Die CDU-Parteizentrale in Bonn ist gar nicht erfreut über derartige Äußerungen. „Da hat sich jemand in der Wortwahl vergriffen“, sagte Parteisprecher Rolf Kiefer. Man müsse sich seine Worte immer gut überlegen. Kiefer bestreitet, daß die CDU-Basis nervös sei und nicht an die eigene Kraft glaube. Das Beispiel Heiligenhaus zeige vielmehr, wie unheimlich engagiert die Basis sei.

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