: Flexible Knastlöhne
Auch wenn das Verfassungsgericht eine „angemessene“ Anerkennung für Gefängnisarbeit fordert – es bleiben Fragen ■ Von Christian Rath
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – das forderten vier Strafgefangene und protestierten gegen ihre Hungerlöhne per Verfassungsbeschwerde. Das Landgericht Potsdam schloß sich mit einem Vorlagebeschluß an. Beim Bundesverfassungsgericht stießen sie damit auf viel Verständnis. Allerdings ließ das Gericht gestern in seiner Entscheidung offen, wie stark die Löhne am Ende tatsächlich steigen müssen. Acht bis dreizehn Mark pro Stunde zahlt derzeit ein Unternehmen, das im Knast einfache Arbeiten verrichten läßt. Das Geld bekommen aber nicht die Gefangenen, sondern die Anstalt. Den Knackis selbst verblieben bisher nur Stundenlöhne in Höhe von 1,70 bis 2 Mark. Auch Gefangene, die für die Anstalt arbeiten, etwa Wäsche waschen oder putzen, bekommen diesen Mickerlohn. Ein Monatsverdienst belief sich so auf kaum mehr als 200 Mark.
Geregelt war dieser Zustand, der schon lange als skandalös empfunden wird, im Strafvollzugsgesetz von 1976. Dort ist der Gefangenenlohn auf fünf Prozent des Durchschnittsverdienstes aller abhängig Beschäftigten festgelegt. Bereits im Jahr 1980 sollte über eine Erhöhung der Knastlöhne entschieden werden, so sah es das Gesetz selbst vor. Diesen Termin ließ der Bundestag allerdings untätig verstreichen und hätte sich angesichts der leeren Kassen wohl auch in Zukunft nicht zu einer Reform durchringen können.
Nun aber erklärte das Bundesverfassungsgericht die Hungerlöhne für verfassungswidrig. Auch Gefangenenarbeit müsse „angemessene Anerkennung“ finden. Die Richter begründeten dies mit dem Resozialisierungsgebot, das sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergebe. Den Gefangenen solle so „der Wert regelmäßiger Arbeit“ für ein künftig straffreies und selbstverantwortliches Leben vor Augen geführt werden. Bisher waren selbst im Gefängnis die kleinen Geschäfte in der Schattenwirtschaft lukrativer als die ehrliche Arbeit beim Tütenkleben und Bücherbinden.
Wohl aus Angst vor Kritik betonte das Gericht ausdrücklich, daß die Resozialisierung von Straftätern auch der Gesellschaft nutze, schließlich könne man so neue Straftaten vermeiden. Richter Konrad Kruis, der geistige Vater des Urteils, ging das allerdings nicht weit genug. In einem Sondervotum betonte er, daß eine angemessene Entlohnung schon aus der vom Staat zu garantierenden Menschenwürde folge. Diese verbiete die „Ausbeutung“ von „zum Objekt degradierten Menschen“.
Konkrete Forderungen an den Gesetzgeber stellten die Richter nicht. Vielmehr betonten sie, daß der Gesetzgeber bei der jetzt anstehenden Reform einen weiten „Einschätzungsraum“ besitze. So kann der Bundestag bei der Festlegung der neuen Lohnhöhe auf der einen Seite berücksichtigen, daß im Knast ziemlich unproduktiv und „marktfern“ gearbeitet wird. Auf der anderen Seite dürfen auch die leeren Kassen der öffentlichen Haushalte in Rechnung gestellt werden. Will der Staat von den Löhnen noch „Haftkostenbeiträge“ abziehen, dann muß dem Gefangenen, so das Verfassungsgericht, von der Vergütung jedenfalls „ein gewisser Betrag“ verbleiben. Näher äußerte sich das Gericht hierzu nicht. Spielraum hat der Gesetzgeber aber nicht nur bei der Höhe der „Anerkennung“ für die Gefängnisarbeit, sondern auch bei deren Ausgestaltung. Nach dem Karlsruher Urteil muß die Anerkennung nicht unbedingt als Arbeitslohn erfolgen. Denkbar seien auch die Einbeziehung in die Rentenversicherung oder „Hilfen zur Schuldentilgung“. Bis zum 31. Dezember 2000 muß der Bundestag eine Reform beschließen. Sollte er diese Frist verstreichen lassen, hat das Verfassungsgericht ein Druckmittel für die Gefangenen vorgesehen. Ab dem Jahr 2001 könnten sie eine Lohnerhöhung vor Gericht einklagen. Einen finanziellen Nachschlag für bislang geleistete Knastarbeit gibt es allerdings nicht.
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