Das Portrait: Herrscher über Leben und Tod
■ Milan Kovacevic
Tiefe Falten im Gesicht, gebückte Haltung, zitternde Hände: Der 57jährige Milan Kovacevic sieht aus, als sei er über 70. Er flüstert, den Kopf gesenkt, die Augen fast geschlossen. Ist dies der gleiche Mann, dessen Auftreten im Sommer 1992 die Welt in Erstaunen versetzte? Damals gab sich Kovacevic als selbstbewußter Kriegsherr, der sich anmaßte, im bosnischen Prijedor über Leben und Tod zu entscheiden. „Erste und vornehmste Pflicht der Serben ist es“, erklärte Kovacevic vor Kameras, „überall, wo Serben leben, ein ethnisch homogenes Serbien zu schaffen.“ Ein Leben mit Muslimen und Kroaten sei ausgeschlossen, die Stunde der Entscheidung gekommen. „Wir fordern, daß die anderen verschwinden.“
Was Kovacevic unter „verschwinden“ verstand, las sich gestern beim ersten Verhandlungstag gegen den Serben vor dem Den Haager Uno-Tribunal so: „Kovacevic wird angeklagt wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerster Verstöße gegen das Kriegs- und Völkerrecht.“ Dem ehemaligen Vizekreisvorsitzenden von Prijedor legt das UN-Tribunal zur Last, verantwortlich für die Errichtung der Internierungslager Omarska, Keraterm und Trnopolje zu sein, in denen möglicherweise zweitausend Zivilisten ihr Leben ließen.
Gestern stritt der Angeklagte alle Vorwürfe ab. Ob er sein Schweigen brechen und erzählen wird, wie er zum geisten Kroaten- und Muslimmörder wurde, läßt sich schwer abschätzen. Doch zu erklären gäbe es viel: Schon als Kind erfuhr Kovacevic Unterdrückung und Haß. Geboren wurde er 1941 in einem KZ der kroatischen Ustascha-Armee, in dem seine Mutter inhaftiert war. Schon in seiner Jugend kam Kovacevic heimlich in Kontakt mit radikalen Nationalisten, die von einem Großserbien träumten. Beim Zusammenbruch Jugoslawiens im Mai 1990 schloß sich der gelernte Anästhesist der Gruppe um den international gesuchten Kriegsverbrecher Radovan Karadzic an. Die beiden sollen einen Plan zur Vertreibung der nichtserbischen Bevölkerung Westbosniens ausgeheckt haben. „Die Sammelplätze wurden geschaffen,“ erklärte damals Kovacevic westlichen Journalisten, „als Transitzentren, für alle, die nicht länger unter uns Serben leben wollten.“ Wer starb, starb eines natürlichen Todes. Ob Kovacevic an seine Worte glaubt? Karl Gersuny
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