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Vietnam wiedersehen und verzweifeln

■ Heinz Kotte und Rüdiger Siebert besuchten ein Land, in dem zwanzig Jahre nach Kriegsende die Wunden noch nicht verheilt sind und neue sozialistische Verletzungen hinzugefügt wurden

„Nichts ist zynischer als die Legitimation durch einen Krieg“, schreibt die vietnamesische Schriftstellerin Pham Thi Hoai in ihrem Vorwort zum Vietnambuch von Heinz Kotte und Rüdiger Siebert. 1960 geboren, gehört sie zu der Generation von VietnamesInnen, die als Kinder „eines auserwählten Volkes“ erzogen wurden, „das gelitten und gesiegt hatte, um eine menschenwürdigere Welt aufzubauen“. Der Stolz, mußte sie allerdings bald erfahren, „war kurzlebig“. Über zwanzig Jahre nach dem Fall von Saigon „ist die Welt anderswo vielleicht menschenwürdiger geworden – mein auserwähltes Volk schreitet weiter einsam und unerschütterlich in Armut, Korruption und Unterdrückung voran“.

Der Krieg zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Buch – ein persönliches Reisebuch im doppelten Sinne: Es berichtet von Orten und Menschen, von Armut und Hoffnungen, denen die beiden Autoren bei ihrer Fahrt kreuz und quer durch das gegenwärtige Vietnam begegnet sind. Zugleich ist es, vor allem für Heinz Kotte, der von 1968 bis 1974 in dem Land lebte, eine Reise in die Vergangenheit: ein zorniger Report über seine Erlebnisse als Helfer des Malteser- Hilfsdienstes und anderer Organisationen während des Krieges und der amerikanischen Bombardierungen. Diese Zeit hat ihn politisch geprägt.

Die Kapitel über den Literaturtempel von Hanoi, über die alte Kaiserstadt Hue und die Ruinen von My Son sind zugleich Reisen durch Jahrhunderte der vietnamesischen Kultur, die stets durch fremde Einflüsse geprägt wurden. Über den „Wandel von Marx zu Money“ erfährt die LeserIn durch die Schilderung des Baubooms in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon), durch die Beschreibung des Lebensstils der neuen Reichen und der Karaoke-Welle, die aus Japan und China auch nach Vietnam geschwappt ist.

Die Geschichte des vietnamesischen Wirtschaftsjuristen Nguyen Ngoc Bich ist zugleich die Geschichte eines zerstörerischen Systems, dessen Hüter im Namen von Gleichheit und Unabhängigkeit das Land in Elend und Depression halten: Bich, der in Harvard studiert hatte, war zum Ende des Krieges nach Hause geeilt, weil er sich nach dem Sieg gegen die Amerikaner am Aufbau des neuen Vietnam beteiligen wollte. Statt dessen verschwand er, wie Hunderttausende seiner Generation, jahrelang im „Umerziehungslager“, wo er grausam drangsaliert wurde. Nun sind seine Fähigkeiten wieder gefragt – er führt einheimische und amerikanische Unternehmen durch die Tücken der vietnamesischen Bürokratie.

Die Autoren treffen alte Bekannte wieder, Pater Chan Tin zum Beispiel. Der Geistliche hatte es im Krieg gewagt, die internationale Öffentlichkeit über die Foltergefängnisse des von den Amerikanern gestützten südvietnamesischen Regimes zu informieren. Auch er wurde der siegreichen Kommunistischen Partei unbequem. Sie schickte ihn aufs Land in die Verbannung, weil er die Korruption und Repression des neuen Regimes anklagte, das seine Kritiker bis heute „ständig überwacht, festgenommen und inhaftiert“ hat. Die Mischung aus Beobachtung, Information, persönlicher Erinnerung und Zorn über verlorene Hoffnungen mag nicht jedermanns Geschmack sein. Sie macht dieses Vietnambuch jedoch lebendig und empfehlenswert. Jutta Lietsch

Heinz Kotte, Rüdiger Siebert: „Vietnam. Die neue Zeit auf 100 Uhren“. Göttingen 1997, Lamuv, 255 Seiten, 38 DM

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