piwik no script img

■ QuerspalteHelmut Kohl schließt die Augen

Ich bin auf Bädertournee. Durch deutsche Nordseebäder. Um genau zu sein: Helmut Kohl ist auch dabei. Kohl und ich sind auf Wahlkampftour. Ich bin nicht sicher, ob wir das Ding gewuppt kriegen. Die Urlauber haben graue Jacken an, starren mißmutig auf die veralgten Kaimauern, auch der Himmel ist übellaunig gekleidet – aber als ich und Kohl dem Hubschrauber entsteigen, blinzelt kurz die Sonne durch ihr sonst so dichtes Wolkengefieder. Ein Zeichen für den Aufbruch?

Die Probleme der Menschen vor Ort interessieren den Kanzler sehr. Er ist der Kanzler der Einheit. Er ist ein guter Redner, und heute ist er besonders gut in Form, das fällt mir – als Intimus der ersten Stunde – gleich auf. Kohl mag die Leute hier im angeblich kühlen Norden (was höchstens auf die Temperatur zutrifft), und sie mögen ihn. Über Schröder spricht keiner. Er ist ein Traumtänzer, ein Briefschreiber. Ich glaube, Waigel sagt in seiner herrlich-ruppigen Art sogar „Arschloch“ zu ihm. Plötzlich wendet der Kanzler, ein Freund des klaren Wortes (und von mir) sich doch dem Luftikus zu. Schröder habe keinen Charakter, und das sei schlimmer, als keine Arbeit zu haben, was schon sehr schlimm sei. Friesennerze werden in die Luft geworfen, Schirme und Proviantkörbe rhythmisch gegeneinandergeklappert – Kohl spricht die Sprache des Volkes, dem er aufs Maul geschaut hat, während er es vereinigt hat. Und ich war dabei.

Ein Kapitän kommt von seinem ölverschmierten Kutter, in seiner rosigen Hand hält der Mann mit dem wettergegerbten Soldatengesicht einige Krabben. „Hier“, sagt er, „für Sie!“ Ich greife zu, doch der Kanzler ist schneller. Ich kaufe ein Fischbrötchen bei einer redseligen Einheimischen. Die Frau mag Kohl, vielleicht kann ich der Redaktion das als Umschwung bei den Umfragewerten unterjubeln. Denn die bereiten Kohl mehr Bauchschmerzen als die Krabben. Im Hubschrauber schließt Helmut Kohl die Augen – er schläft oder betet. Die Dunstglocke über Norderney verschluckt uns. Wir kommen aber wieder. Mainhardt Graf v. Stuckrad-Barre

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen