Cream of Crime: On the Borderline
■ Echte, böse Obsessionen: James Crumley und der Tod des Hardboiled-Genres
James Crumley sieht aus wie ein leicht selbstironischer Hemingway. Seine Romane lesen sich wie leicht selbstironische Peckinpah-Filme. Zumindest sind sie genauso blutig und endzeitmäßig. Wobei natürlich nicht die Menschheitsdämmerung gemeint ist, sondern die Genredämmerung, die James Crumley Buch für Buch zu seinem Thema macht. Uns soll's recht sein, daß sein Genre, die very, very hardboiled private eye novel so schön langsam, quasi in Zeitlupe stirbt, denn Crumley inszeniert diese Schwanengesänge erfreulich opulent.
Nach der schon recht deliranten „Mexikan Tree Duck“ jetzt also die arg deliranten „Bordersnakes“ unter dem umständlichen deutschen Titel „Jeder gräbt sein eigenes Grab“, fein übersetzt von Thorsten Tornow: Milton Chester Milodragowitsch und C. W. Sughrue, die beiden tragenden Gestalten von Crumleys Universum, arbeiten mal wieder zusammen, hauptsächlich in Westtexas, an der mexikanischen Grenze. Im Peckinpah-Land also, wo sich seit je allerlei merkwürdige Gestalten tummeln, die Crumley sozusagen auf den neuesten politischen Stand bringt.
Aber Vorsicht: Wer nur eine handfeste Abenteuerschote über das alte Balladenthema „Across the Borderline“ (in diesem Fall sollten wir die Version von Flaco Jimenez auflegen) erwartet, bekommt von Crumley vorgeführt, wie raffiniert man so etwas erzählerisch lösen kann. Der ansonsten monologische Privatdetektivroman, den Crumley ebenso dreist wie selbstverständlich aus der Stadt aufs flache Land verpflanzt hat, wird in zwei Erzählperspektiven (Milo und Sughrue) aufgesplittet, die nicht immer ganz und an entscheidenden Punkten gar nicht deckungsgleich sind. Somit erweist er sich keinesfalls als dekadent, sondern als geschmeidig und flexibel. Denn einer allein – tschüß, Marlowe – kann schon gar nicht mehr durchblicken. Die grimmige Story über Warlords und Drogenbarone beiderseits der Grenze erzählt zwar sehr schön, was in der Gegend so alles abgeht, ist dabei aber nicht nicht von der Bilderwelt abgelöst, die unsere Wahrnehmung der location geprägt hat.
Für „Realismus“ der platten Art ist unter diesen Umständen nichts zu holen. „Bordersnakes“ ist, und der letzte Handlungsdreh bestätigt es verblüffend, ein Roman über Film und Filme. Und dabei doch kein Meta-Roman, sondern einer über eine echte, böse Obsession. Außerdem gab es ja schon mal jemand im Südwesten mit einer erklecklichen Obsession für „Bildwelten“ dort: Georgia O'Keefe. Ich müßte mich sehr irren, wenn ein paar Passagen bei Crumley nicht direkte Hommagen an die Malerin sind, die nicht nur geile Pflanzenporträts, sondern auch grandiose Landschaftsbilder geschaffen hat.
Apropos geil: Ein erfreulicher Aspekt des Romans ist die Polemik gegen den als Gesundheitsfanatismus getarnten amerikanischen Puritanismus. Crumley ruft laut dazu auf, die schönen Seiten des Lebens wieder in ihr Recht zu setzen und auf ihre politische und moralische Korrektheit zu pfeifen: saufen, rauchen, Fleisch essen, anständig ficken und sich hin und wieder eine Dröhnung genehmigen. Denn aus all diesen Dingen ergeben sich wunderbare Geschichten, für die die zwei alten, narbigen Anarchos glaubwürdig stehen. Mitsamt ihrem Hang zu Übertreibung, Überzeichnung, Pathos und Parodie, wider die blutleeren, halluzinations- und halluzinogenfreien Soziostückchen des braven kriminalliterarischen Naturalismus. Die klassische PI-novel mag ja tot sein, aber diese Leiche macht ganz schön was her. Thomas Wörtche
James Crumley: „Jeder gräbt sein eigenes Grab“. Piper Verlag, 16,90 Mark
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