■ Querspalte: Arschwische mit Mottos
Ein Satz geht rund, und es wird nicht mehr lange dauern, bis er in den Staumeldungen des Verkehrsfunks als Jingle läuft. Damit angefangen hat der Soziologie-Professor und Schröder-Berater Oskar Negt. Zentraler Bestandteil seines für schlappe zehn Mark zu erwerbenden Taschenbuchs „Warum SPD“ ist ein Notat des Dichters Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799): „Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll.“ Dankbar griff der Rezensent der Zeit das Zitat auf, druckte es hochachtungsvoll weg, und nun stand es wie zufällig auch in der aktuellen Hausmitteilung des Spiegel.
Lichtenbergs „Sudelbücher“, aus denen der Satz stammt, sind zwar nicht erst seit voriger Woche frei zugänglich. Dennoch kann es nicht schaden, den medial verfügbaren Vorrat an Aphorismen aufzufüllen, damit die Grundversorgung der Bevölkerung mit vergleichbar kompatiblen, zuzahlungsfreien Lichtenberg-Weisheiten nicht vor dem 27. September zur Neige geht. Wie wäre es gleich anschließend an das Zitierte: „Außer der Zeit gibt es noch ein anderes Mittel, große Veränderungen hervorzubringen, und das ist die – Gewalt. Wenn die eine zu langsam geht, so tut die andere öfters die Sache vorher.“ Nein, paßt nicht. Aber wer hat Verwendung für die Frage: „Sagt, ist noch ein Land außer Deutschland, wo man die Nase eher rümpfen lernt als putzen?“ Schröder- Gegner werden sich auf den Satz stürzen: „Nicht Größe des Geistes, sondern des Windes hat ihn zu dem Manne gemacht.“ Die SPD wiederum wird über Kohl sagen: „Der Mann hatte so viel Verstand, daß er fast zu nichts mehr in der Welt zu gebrauchen war.“ Aber wer hat Verwendung für unseren folgenden Favoriten: „Da liegen die Kartoffeln und schlafen ihrer Auferstehung entgegen.“ Trotz der reichen Auswahl sollte man dennoch nicht vergessen: Das alles sind natürlich, Lichtenberg zufolge, „Arschwische mit Mottos“. Dietrich zur Nedden
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