: Der Hoffnungsschimmi
„Och weißte, wissen Sie...“ Ein Schauspielerleben, das entlang der Entspannungskurve der Bundesrepublik verläuft: Götz George wird 60 Jahre alt. Ein Glückwunsch ■ Von Mariam Lau
Er ist ein Berliner. Ein Wannsee-Berliner sogar, aus unserem Beverly Hills. Dort wohnt er aber nicht aus Dünkel, sondern aus Narzißmus: Es gehört für ihn zur Körperpflege, nicht zu anstrengend zu wohnen. Frei atmen, laufen, tauchen, das muß er schon können. Das Athletische war es ja schließlich auch, das ihm in den sechziger Jahren erstmals Beschäftigung in großem Stil eintrug: Vom „Schatz im Silbersee“ (1962) an ließ er seine Stunts nicht mehr doubeln, und es ging Schlag auf Schlag: „Nur tote Zeugen schweigen“ (1964), „Herrenpartie“ (1964), „Sie nannten ihn Gringo“ (1965) und wie sie alle hießen. Die Bild-Zeitung verfolgt Götz George mit der gleichen strengen Liebe, die sie auch Lokalmatador Harald Juhnke angedeihen läßt: George verletzt! Eine Schiffsschraube!! Was, Scheidung? George kauft neues Haus. Ist diese Partnerin nicht ein bißchen jung? Na bitte: läßt ihn sitzen für einen Gleichaltrigen.
In den Regionalprogrammen zeigt er sich mitunter, wie er mit einem befreundeten Restaurantbesitzer am Charlottenburger Savignyplatz – auch eher neo-bourgeois – bei einem „schönen Glas Wein“ sitzt und nachdenklichen Blicks über die Möglichkeiten räsoniert, einen Bösewicht zu spielen. Daß er trotzdem immer wieder mit dem Ruhrgebiet und dem einfachen, goldkettchenbehangenen, frittenbestückten Leben assoziiert wird, hängt selbstredend mit der Rolle des anti-bürokratischen Naturburschen Kommissar Schimanski zusammen, den er seit Beginn der achtziger Jahre spielt. Während sein Gegenspieler Tanner ihm Geschmack und Contenance beizubiegen versucht, läßt George den Fuß, mit dem er selbst in der Unterwelt hängt, ruhig ein bißchen riechen. Schweißausbrüche, wonniges Rülpsen, kräftige Schulterschläge und ausgiebiges Kratzen ungewaschener Stellen sind die Marken seiner Authentizität. Zart, ganz zart: Huren mit Herz, kleine dunkeläugige Mädchen, Katzen und Penner sind die Enterbten seines Robin Hood. Mit Kinderschändern, schmierigen Drogenhändlern und arroganten Reichen hat er dagegen wenig Geduld. Faust auf Faust! Lästige Hemmnisse wie Schutz der Wohnung oder der Person räumt er mit begeisterter Verve aus dem Weg; ihm verzeiht man jeden Lauschangriff.
Unsereins von der bürgerlichen Presse konnte da nicht immer so mitschwingen. Und dann der Vater! Fiel nicht der Schatten des übermächtigen, vitalistisch-pyknischen Heinrich George auf den Sohn, der Heinrich, vor dessen Auftritt in „Jud Süß“ oder, noch schlimmer, als gewendeter Kommunist in „Hitlerjunge Quex“ einem einfach graust? Nein, kein Schatten. In völlig klaren, unverdrucksten Worten versetzt Götz (nach seines Vaters Lieblingsrolle als Götz von Berlichingen benannt) George allen, die es hören wollten – und das waren sehr viele –, daß sein Vater sich verrannt hat, daß er ein großer, vielleicht der größte Schauspieler für ihn war und daß er, Götz George, noch immer hofft, seine Statur zu erreichen. Punkt.
Könnte man Götz George im Zeitraffer beobachten, würde sich vielleicht genau die Entspannungskurve abzeichnen, die sich in der Bundesrepublik überhaupt ausmachen läßt. Nach den angestrengten Schmachtfetzen der Fünfziger – auch Götz spielte noch bei Wolfgang Liebeneiner, in „Jacqueline (1959) – spielte er bei Staudte einen verzweifelten Deserteur des Zweiten Weltkriegs. Es folgten die Lockerungsübungen mit den Action-Filmen der Siebziger, aber auch sein großer, wirklich großer Auftritt als Auschwitz-Kommandant Höß in Kotullas „Aus einem deutschen Leben“ (1977). Seit den achtziger Jahren dann endlich ausgelassenes, hedonistisches Kino: zum Beispiel als Hasardeur in „Schtonk“, während die Kommissar-Rollen stets einen Zug zum Roadmovie hatten. Daß er mit seinem holländischen Kumpel keine Joints geraucht hat und sich danach von einem Motorrad schießen ließ, als Easy Rider auf der A503, war eigentlich alles.
Auch ein Gespräch mit der taz, wenngleich in aller Strenge geführt, konnte ihn nicht irritieren. Damals hatte er in Cannes gerade „Der Totmacher“ (1995) vorgestellt, eine Bravourleistung als Massenmörder Haarmann in einem phantastischen Film von Romuald Karmakar. Da konnte man ihm den Respekt schlechterdings nicht mehr verweigern. Dann sollte er wenigstens zugeben, eigentlich einen Film über Hitler gedreht zu haben! „Och weißte, wissen Sie“, hatte er damals freundlich gesagt, „Massenmörder sind sich gleich, sie suchen Liebe. Das sind meist völlig unauffällige Leute, immer nett, hilfsbereit...“ Derzeit spielt er Josef Mengele in „After the Truth“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen