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■ Kurz vor Wahlen werden Politiker im Freistaat gern handgreiflichSpatenblüte in Bayern

Nürnberg (taz) – Was machen Politiker und solche, die es werden wollen, in weißblauen Gefilden kurz vor den Wahlen? Reden halten, Bierfässer anstechen, Kaninchenzüchter ehren? Weit gefehlt. Sie greifen zu Spaten und Schere.

Im Freistaat ist eine regelrechte Manie ausgebrochen. Kaum ein Tag vergeht, an dem als Startschuß für eine Baumaßnahme nicht ein schmucker Spaten in das Erdreich gestoßen wird oder eine in der Sonne gleißende Schere zur Eröffnung eines neuen Straßenabschnittes das so beliebte weißblaue Band unsanft durchtrennt. Egal zu welchem Anlaß, beim Hand anlegen sind Minister und Staatssekretäre derzeit bis an die Kapazitätsgrenze ausgelastet.

Rund 4.000 Spatenstiche und ebenso viele Scherenschnitte hat die oppositionelle SPD für das erste Halbjahr bereits gezählt. Tendenz steigend, schließlich ist die Liste der seit Jahren versprochenen, immer wieder verschobenen und nun endlich beginnenden Baumaßnahmen lang. Als „Mister Spatenstich“ tat sich bislang Innenstaatssekretär Alfred Sauter hervor. Er brachte es auf stolze sieben Radweg-Spatenstiche in nur einer Woche. Jetzt hat es Sauter auf den Rekord im Richtfest-Reden abgesehen. Allein in der vergangenen Woche war er diesbezüglich in Nördlingen, München und am Chiemsee zugange.

Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, einen Mann, der anpackt, wo es nur geht, hat er dabei längst hinter sich gelassen. Stoiber tut es pro Woche nur einmal – dafür gern bei der Privatwirtschaft: Siemens (Erlangen), Tucher-Bräu (Fürth), Audi (Ingolstadt) und Pfleiderer (Neumarkt) lautet seine persönliche Spatenbilanz.

Innenminister Günther Beckstein scheint dagegen auf den letzten Etappen zur großen Aufholjagd zu blasen. Letzten Samstag trennte er am Hienberg das Band für die neue sechsspurige Autobahn durch. Endlich mal ein Großprojekt, denn zuvor war Beckstein jeder Anlaß recht, um punkten zu können. Einmal weihte er gar höchstpersönlich einen lausigen Bürocontainer der Polizei ein.

Bei aller Spatenmanie gibt es nur ein Problem: Die Zahl der Anlässe hat eine natürliche Grenze. Problemlösungskompetenz zeichnet jedoch von jeher einen bayerischen Minister aus. Parallelspatenstiche und -einweihungen lautet jetzt die Devise. Zur Wiedererrichtung eines historischen Saales in Nürnberg trat Kultusminister Zehetmair gar mit acht anderen Spatenstechern an. Um eine Gefängnisturnhalle ihrer Bestimmung zu übergeben, durchtrennten Justizminister Leeb und Innenminister Beckstein gemeinsam das Band.

Beliebt ist auch die Variante, ein und dasselbe Ereignis zweimal zu feiern. So durfte Innenstaatssekretär Regensburger schon zum Start des Dienstbetriebes des Landesamts für Statistik in Schweinfurt im Februar dieses Jahres feierliche Worte verlieren und dann noch einmal im Juni zur offiziellen Einweihung.

Placebospatenstiche, also Spatenstiche für Maßnahmen, die anschließend gar nicht in Angriff genommen werden, stehen ebenfalls hoch im Kurs. Auch ohne offizielle Ausschreibung für eine entsprechende Baumaßnahme wird in diesen Monaten allerorten spatengestochen. Baubeginn ist – wenn überhaupt (siehe oben) – nach der Wahl.

Extra für die Wahl geht manchmal aber alles ganz schnell. Für eine Umgehungsstraße, auf die die Bürger von Cailsheim schon 34 Jahre gewartet haben, war der Spatenstich nun endlich für den 16. September vorgesehen. Auf Drängen des örtlichen CSU-Abgeordneten wird nun eine Woche vorher gestochen, gerade noch rechtzeitig vor der Wahl am 13. September. Ob dann die ganze Ministerriege samt Spaten anrückt, war bis Redaktionsschluß nicht zu erfahren. Bernd Siegler

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