: Anti-Doping-Tour
■ Die Siegerin der diesjährigen Tour de France steht jetzt schon fest. Die unnachgiebige Haltung der französischen Sportministerin stärkt den Dopingfahndern den Rücken. Ihr gebührt das Gelbe Trikot 1998
Sie werden täglich weniger. Aber die sind entschlossen, bis zum Ende, am Sonntag auf den Champs-Élysées durchzuhalten. Gestern morgen, als sie pünktlich um 11 Uhr 30 in Aix-les-Bains zur 18. Etappe der 85. Tour de France starteten, waren sie noch 102, statt der 198 Radler, die am 11. Juli in Irland die Tour eröffnet hatten. Nach dem allerersten Warnstreik der Tour-Geschichte, den sie Ende vergangener Woche wütend abgehalten hatten, und nach der nicht im Wettbewerb berücksichtigten Bummeltour, mit der sie am Mittwoch dieser Woche auf die ihres Erachtens unwürdige Behandlung durch Polizei, Justiz und Medien reagiert hatten, wollten die Verbliebenen von gestern an auf den letzten Etappen so tun, als sei gar nichts gewesen.
Aber dazu war es schon viel zu spät. „Die Tour ist implodiert“ und „Die Tour ist krepiert“, hatte es da längst in den französischen Medien geheißen. Da war von „Chaos“ und vom „Durchdrehen“ der radelnden Kraftmaschinen die Rede gewesen. Von „Polizeibewachung“, „Zimmerdurchsuchungen“, „Haartests“ und dergleichen Ermittlungstechniken mehr. Und bei Redaktionsschluß der taz waren immer noch mehrere des Dopings verdächtige Hauptfiguren des Spektakels im Polizeigewahrsam: ein Arzt vom Once-Team, ein Sportdirektor (Française des Jeux) und ein radelnder Bergexperte (Casino).
Sieben der 21 Teams, die ursprünglich gestartet waren, hatten die Tour verlassen. Davon ein Team (Festina) auf Entscheidung der Tour-Leitung. Unter anderem hatten bis gestern morgen alle spanischen Teams das Weite gesucht und über ihre Botschaft sogar einen kleinen diplomatischen Zwischenfall daraus gemacht. Ein anderer, freilich unfreiwillig ausgeschlossener Radler, der Franzose Richard Virenque, ging unterdessen auf den Seiten der französischen Zeitung La Provence zur Gegenoffensive über. Virenque kündigte an, er werde die Tour- Gesellschaft wegen des erlittenen persönlichen Schadens verklagen.
Aber die Tour ging weiter. Ihr Direktor, der als ehemaliger Spitzenradler mit allen Bereichen des Gewerbes hinlänglich erfahrene Jean-Marie Leblanc, behauptete gestern sogar, sie sei eine tour magnifique, die bloß leider „atmosphärisch vergiftet“ worden sei. Von außen natürlich. „Mit einer großen Verantwortung der Medien“, wie er hinzufügte.
Und die kommunistische Sportministerin Marie-Georges Buffet, tat auch gestern noch so, als gäbe es keinerlei Veranlassung, die unselige Schau zu beenden. „Die Ministerin hat nie einen Abbruch der Tour de France gewollt“, teilte ihre Sprecherin wie alltäglich mit. Und zu den Ermittlungen gegen die Teilnehmer der Tour de France könne sie schon überhaupt nichts sagen, denn „Polizei und Justiz falle nicht in ihre Kompetenz“.
Dabei hat die zart wirkende, wenngleich großgewachsene Ministerin aus dem „Reformer-Kreis“ um KPF-Chef Robert Hue gar keine Veranlassung, ihr Licht zu verstecken. Seit Anfang ihrer Amtszeit vergangenen Jahres war sie energisch aufgetreten. Gegen Alkohol- und Tabakwerbung in Stadien. Gegen Exklusivübertragungsrechte von Sportereignissen in Privatsender. Und eben auch gegen Doping. Dabei gehe es ihr, wie Buffet stets präzisierte, um alle Sportarten, und ganz besonders um die Jugendlichen im Breitensport. Aber daß sie auch vor den Berufs- und Spitzensportlern nicht zurückschrecken würde, hat sie ebenfalls mehrfach und deutlich erklärt.
Gleich zu Anfang hatte Buffet den Antidopingetat ihres Ministeriums beinahe verdoppelt (von 9 auf 16 Millionen Francs). Im nächsten Jahr will sie ihn sogar beinahe verdreifachen. Und für den Herbst hat sie ein Antidopinggesetz vorbereitet, das die Strafen für Doper und die Suche nach Gedopten drastisch intensiviert und einen zentralen „Antidopingrat“ einführt. Ihre europäischen AmtskollegInnen hat sie um Unterstützung für eine vergleichbare Initiative auf EU-Ebene gebeten, wo sie jetzt auf den tatkräftigen Einsatz der österreichischen Ratspräsidenz baut.
Gegenwärtig überschreitet die Zustimmung zu der Sportministerin viele Lagergrenzen. Vor allem von den Kollegen aus der Regierung wird ihr Sympathie gezollt. Auch die Drogenfahnder sind begeistert. „Madame Buffet hat uns durch ihre Politik den Rücken gestärkt“, geben Verantwortliche der Polizeibrigaden, die die Razzien bei den Radsportlern durchgeführt haben, freimütig zu. Aber aus Buffets Umfeld verlautet kategorisch, daß die Ministerin „alles über die Ermittlungen aus den Depeschen von AFP“ erfahren und „nicht den geringsten Einfluß“ darauf habe.
Ganz egal, welcher Radler am Sonntag das gelbe Trikot bekommt – vorausgesetzt natürlich die Tour schafft es tatsächlich bis zu den Champs-Élysées: Schon jetzt steht fest, daß Marie-Georges Buffet, die eigentliche Gewinnerin des diesjährigen Tour-Theaters ist. Dorothea Hahn
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