■ Die Überlebenschancen für die Verschütteten in Lassing sind gering: Der Versuch, ein Wunder zu erzwingen
„Es besteht praktisch keine Hoffnung für die Verschütteten.“ Mit diesem Urteil machten die Betreiber der eingestürzten Talkum-Mine von Lassing in der Obersteiermark zwei Tage nach dem Unglück die Hoffnungen der Angehörigen von zehn Knappen und einem Geologen zunichte. Die Bergung erschien angesichts der Wasser- und Geröllmassen, die sich in die Schächte des Bergwerks ergossen hatten, aussichtslos. Eine Woche darauf wurde der 24jährige Georg Hainzl unversehrt aus dem Frühstücksraum auf 60 Meter Tiefe ans Tageslicht geholt. Hunger, Durst und neun Tage Todesangst dürften keine bleibenden Schäden hinterlassen haben – das „Wunder“ von Lassing war geschehen. Seither klammern sich die Lassinger an die Hoffnung, daß auch die anderen zehn, die Stunden nach dem ersten Einsturz den vermißten Kameraden gesucht hatten, überlebt haben. Daß ihre Lage um ein Vielfaches ernster ist, tut der Hoffnung keinen Abbruch. Daß sie sich in eine Luftblase in der Sohle 10 gerettet haben könnten, ist pure Spekulation. Nur dort hätten sie eine überlebenschance.
Waltraud Klasnic, die Landeshauptfrau der Steiermark, ist überzeugt, daß ihre Gebete an die heilige Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute, erhört worden seien. Warum sollte die Heilige, von deren Wundertaten zahlreiche Votivtafeln im Steirischen zeugen, nicht auch den einen oder anderen aus dem verunglückten Rettungsteam am Leben erhalten haben? Neben Sozialarbeiterinnen und Psychologen haben auch die Priester Großeinsatz. Obwohl Mediziner den Hoffnungen auf eine erfolgreiche Bergung wissenschaftliche Nahrung geben, denn Wasser hätten die Eingeschlossenen genug, und auch die Luft könnte reichen, bauen die verzweifelten Angehörigen auf himmlische Kräfte, wenn sie sich von einem Wiedersehen mit den Verschütteten überzeugt geben. Was Wunder, daß mehrere Personen über den inzwischen durchgebohrten Versorgungsschacht Klopfzeichen aus der Tiefe gehört haben wollen.
Die Hoffnungen der Bevölkerung, verstärkt durch das im Sommerloch angeheizte Medieninteresse, haben einen Druck auf die Betreiber der Naintsch Mineralwerke GmbH (eine Tochter des Bergwerksmultis Rio Tinto) erzeugt, daß schließlich unternommen wurde, was nach den ersten Tagen aussichtslos erschienen war. Dieser Druck, getragen vom Glauben an die himmlische Gerechtigkeit, hat den Wert des Menschenlebens in die rechte Dimension gerückt. Denn die Rettungsarbeiten haben bisher mehr als 14 Millionen Mark gekostet. Ralf Leonhard
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