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Räumkommando Flowerpower

Bakterien, Pilze und Pflanzen können Sprengstoffreste abbauen. Zwar verschwindet das Umweltgift TNT nicht komplett, immerhin aber scheint der Anfang bei der biologischen Sanierung von Sprengstoffresten geschafft  ■ Von Wiebke Rögener

Das Bundesforschungsministerium verbreitet wie gewohnt Optimismus: „Pilze und Bakterien entschärfen Sprengstoffreste“, verlautbarte es schon vor fast zwei Jahren. Ganz so weit ist es noch nicht. Tatsächlich aber bemühen sich etliche Forschergruppen und Unternehmen, ein brisantes Erbe der Weltkriege mit biologischen Mitteln in den Griff zu bekommen: An mehr als siebzig Standorten wurde in Deutschland der Sprengstoff Trinitrotoluol (TNT) hergestellt oder abgefüllt, während des Zweiten Weltkriegs etwa 55.000 Tonnen pro Jahr. Allein im Sprengstoffwerk Tanne bei Clausthal-Zellerfeld waren es insgesamt mehr als 100.000 Tonnen.

Auf die Umwelt wurde dabei ebensowenig Rücksicht genommen wie auf die eingesetzten Zwangsarbeiterinnen. Noch heute liegt der Sprengstoff mancherorts in Brocken herum. Etwa 400 weitere Standorte sind mit TNT belastet. Da das ringförmige Molekül mit drei stickstoffhaltigen Gruppen außerordentlich stabil ist, ruht auch mehr als fünfzig Jahre nach Kriegsende eine Zeitbombe im Boden. TNT ist nicht nur explosiv, sondern auch hochgiftig. Es verursacht Blut- und Leberschäden, löst Mutationen aus und ist höchstwahrscheinlich krebserregend. Da bei seiner Produktion große Mengen Wasser benötigt werden, lagen die Rüstungsfabriken stets in wasserreichen Gebieten – und bedrohen so die Trinkwasserversorgung.

Bisher ist die Erde nur durch Ausglühen bei hohen Temperaturen zu entgiften. Was dabei herauskommt, ist TNT-frei – und tot. Die Bodenorganismen überleben eine solche Gewaltkur nicht. Außerdem ist das Verfahren teuer, und so sind die ehemaligen Rüstungsfabriken bis heute nicht saniert. Entweder werden kontaminierte Böden deponiert oder die Flächen schlicht abgesperrt. Manche wurden nach dem Krieg aber auch kurzerhand besiedelt – das hessische Stadtallendorf ist so eine bewohnte Altlast.

Mit Biologie soll nun alles besser werden. Zwar wird TNT im Boden unter natürlichen Bedingungen kaum abgebaut. Doch wenn man ein wenig nachhilft, sind manche Organismen durchaus imstande, das Sprengstoff-Molekül zu knacken. Bakterien, Pilze, aber auch manche andere Pflanzen können TNT zwar nicht als ausschließliche Mahlzeit, aber doch als akzeptable Beikost verwerten. Darauf beruhen mehrere Verfahren, die derzeit in einem vom Bundesforschungsministerium geförderten Verbundvorhaben „Biologische Sanierung von Rüstungsaltlasten“ erprobt werden. Testgelände ist das ehemalige Sprengstoffwerk Tanne.

Wissenschaftler der Universität Oldenburg schicken Bakterien ins Rennen, die sich im TNT-belasteten Boden während der letzten Jahrzehnte angesiedelt haben. Der Biologe Thomas Gorontzy beschreibt ein Verfahren, bei dem die Mikroben unter Luftabschluß als Räumkommando arbeiten. Bodenproben, die ursprünglich bis zu zwölf Gramm TNT pro Kilogramm enthielten, wurden durch Mischen mit unbelastetem Material auf eine Konzentration von 2,5 Gramm TNT gebracht. Als Energiequelle für die Mikroorganismen setzten die Wissenschaftler Melasse zu und durchspülten die Proben dann ausgiebig mit Wasser. Die Bakterien bauen dabei das TNT in wasserlösliche – aber keineswegs ungiftige – Stoffe um, vor allem in Triaminotoluol (TAT). So reduzierte sich der TNT-Gehalt im Boden um 95 Prozent. Das Abwasser wurde anschließend ebenfalls mit einem aus dem Boden isolierten Mikroorganismus gereinigt. Danach war TAT nicht mehr nachweisbar. Doch leider blieb sein Schicksal ungeklärt: Es konnte bislang nicht gezeigt werden, zu welchen Produkten die Mikroorganismen diesen Stoff abbauen. Auch geht Gorontzy nicht davon aus, der so sanierte Boden sei vollständig entgiftet. Vor seiner Wiederverwendung müsse etwa überprüft werden, wie er das Pflanzenwachstum beeinflußt. „Die Auswahl der anzuwendenden Toxizitätstests hängt dabei im wesentlichen von der vorgesehenen Nutzung des wiedereinzusetzenden Bodens ab“, betont er.

Andere Verfahren verzichten von vornherein darauf, das Gift zu entfernen. Sie setzen darauf, das TNT in Substanzen umzuwandeln, die sich fest an Bodenpartikel binden (humifizieren). In dieser Form kann das Gift, so hofft etwa die Cuxhavener Firma Plambeck ContraCon, weder ausgewaschen noch von Organismen aufgenommen werden. In Zusammenarbeit mit der Universität Marburg entwickelte sie das sogenannte „dynamische Beetverfahren“. Dabei wird der Bodenaushub in großen Zelthallen zunächst unter Zusatz von Nährlösung verdichtet, damit sauerstoffscheue Bakterien ihre zersetzende Arbeit tun können. Anschließend wird das Material belüftet. So kommen auch Mikroorganismen, die Sauerstoff benötigen, zum Zuge und die Abbauprodukte lagern sich an Bodenpartikel an. Inwieweit diese Kompostierung aber das Gift aus dem biologischen Kreislauf dauerhaft entfernt, bedarf noch der Überprüfung. Bisher sind die zugrundeliegenden chemischen Prozesse nur unvollständig bekannt. Mit radioaktiv markiertem TNT ließ sich zwar zeigen, daß mehr als achtzig Prozent des Sprengstoffs im Boden fixiert wurden. Die Ergebnisse deuten auch auf eine echte Bindung der Schadstoffmoleküle an Bodenpartikel hin. Doch „das Langzeitverhalten von humifizierten Schadstoffen ist zur Zeit kaum erforscht“, sagt der Marburger Wissenschaftler Dirk Bruns-Nagel.

Auch die Buschbohne soll helfen, die Rüstungsaltlasten im Boden zu verringern. Während etwa die Luzerne bei mehr als zehn Milligramm TNT pro Kilogramm Boden eingeht, hält die Bohne fünfzig mal soviel aus. Und in unmittelbarer Nähe ihrer Wurzeln nimmt die Konzentration der Schadstoffe ab – TNT und seine Abbauprodukte werden offenbar aufgenommen. Außerdem leben im Wurzelbereich besonders viele Mikroorganismen, die ebenfalls TNT zersetzen. Derzeit werden von einer Arbeitsgruppe der Universität Marburg elf verschiedene Pflanzenarten auf ihre Eignung für den Kampfmittelräumdienst untersucht. Jetzt veröffentlichte Ergebnisse mit radioaktiv markiertem TNT zeigen, daß die einzelnen Arten offenbar sehr unterschiedliche Mengen davon aufnehmen. Die höchste Konzentration fand sich in den Wurzeln der Luzerne – möglicherweise ist dies auch der Grund für die Empfindlichkeit der Pflanze.

Offen ist, in welcher Form die Abbauprodukte in Pflanzen gelagert oder eingebaut werden. Neue Untersuchungen ergaben, daß sie je zur Hälfte in der Zellwand und im flüssigen Zellinhalt gelöst wiederzufinden sind. Vom praktischen Einsatz ist die Flowerpower gegen Sprengstoff jedoch noch weit entfernt.

Manche Pilze dagegen können den Sprengstoff nicht nur zu fragwürdigen Zwischenprodukten verarbeiten. Zumindest im Labor gelingt es ihnen, TNT vollständig zu zerlegen, zu mineralisieren. Die Pilze (Weißfäulepilze, Gelb- und Braunkappen) geben bestimmte Enzyme ab, die das TNT in Kohlendioxid, Wasser und Stickstoffverbindungen umwandeln. In Erdhaufen aus verseuchtem Boden, Stroh und Pilzfäden reduzierte sich der TNT- Gehalt in 600 Tagen von etwa 75 Milligramm TNT auf knapp ein Milligramm pro Kilogramm Boden, berichtete eine Arbeitsgruppe der Uni Jena. Dabei wird etwa die Hälfte des Giftes vollständig abgebaut, der Rest zu organischen Säuren.

Zumindest im Labormaßstab gelingt es inzwischen nach Auskunft der Jenaer Wissenschaftlerin Katrin Scheibner, TNT vollständig in ungiftige Bestandteile zu zerlegen. Doch ist unklar, bis zu welchen TNT- Konzentrationen im Boden das kürzlich patentierte Verfahren eingesetzt werden kann. Frühere Versuche zeigten, daß Konzentrationen über zwanzig Milligramm pro Liter dem Weißfäulepilz den Garaus machen. Im Werk Tanne lagern dagegen bis zu dreißig Gramm TNT im Kilo Erde. Ob die Pilzkur sich auch unter solchen Bedingungen bewährt, bleibt abzuwarten.

Trotz manch vielversprechendem Ansatz gilt immer noch, was der Bund für Umweltschutz und Naturschutz (BUND) bereits vor vier Jahren formulierte: Biologische Sanierungsverfahren für schadstoffbelastete Böden sind bisher nur bei Verunreinigung mit geradkettigen Kohlenwasserstoffen (Mineralöle) praktisch einsetzbar. „Forschungsprojekte zu anderen Schadstoffen gibt es viele“, so BUND-Referent Thomas Lenius. „Doch fehlen Lösungen, die mit Maßnahmen zur Qualitätssicherung eine dauerhafte Sanierung wirklich nachweisen.“

Dafür müßten zunächst Sanierungsziele festgelegt werden: Welche Verminderung des Giftgehaltes wird angestrebt? Kann die Bindung von Schadstoffen an Bodenpartikel wirklich als Sanierung gelten? Für welche Nutzungen muß der Boden anschließend geeignet sein? Sollen die öffentlichen Fördermittel nicht nur den beteiligten Firmen, sondern auch der Umwelt nützen, müßten die Forschungsergebnisse sich an solchen Fragestellungen messen lassen.

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