: Vielbeschworene Effekte
Bleibt 2010 die analoge Mattscheibe dunkel? Das Bundeskabinett diskutiert heute Pläne zur Markteinführung des digitalen Rundfunks in Deutschland ■ Von Jürgen Bischoff
Bertelkirch, Telekom und van Miert: Die anhaltenden Streitereien um das digitale Fernsehen öden die Fachleute mittlerweile an, das breite Publikum hat längst den Überblick und damit das Interesse verloren. 30 Programme im Kabel und noch weit mehr via Satellit scheinen Otto Normalzuschauer völlig zu reichen. Das digitale Fernsehen in Deutschland sendet auch im dritten Jahr fleißig am Zuschauer vorbei.
Dabei sind sich nahezu alle Experten einig: Digitales Fernsehen und Radio bieten auf mittlere Sicht zahlreiche Vorteile. Angefangen bei mehr Programmen über die herkömmliche Hausantenne – womit mancher Haushalt die Kabelgebühren sparen könnte – über bessere Bild- und Tonqualität bis hin zum ökologischen Argument enormer Energieeinsparungen auf der Senderseite. Allein: Solange Otto Normalzuschauer nicht endlich ein digitales Empfangsgerät im Hause hat, verpuffen die Effekte.
Aus diesem Grunde sah sich im vergangenen Herbst die Bundesregierung dazu genötigt, das Heft an sich zu reißen. Auf Initiative des Kanzleramtes und des seligen Postministeriums wurde eine „Initiative Digitaler Rundfunk“ (IDR) ins Leben gerufen. Experten aus Industrie, Rundfunkanstalten, Netzbetreibern und Verbraucherverbänden setzten sich darin an einen Tisch, um eine Strategie zu formulieren, mit der die schöne neue digitale Rundfunkwelt nun baldmöglichst auch in Deutschland Wirklichkeit werden soll. Im Juni legte die IDR der Bundesregierung ein erstes Papier vor, das heute im Kabinett beraten wird.
Endlich wird das Primat der Politik gefordert
Wenn alles nach Plan der IDR läuft, bleibt am 1. Januar 2010 der Bildschirm für alle dunkel, die bis dahin noch nicht umgestiegen sind. Ihr UKW-Radio dürfte dagegen noch ein paar Jahre länger laufen, bis die analogen Sendernetze endgültig abgeschaltet werden. So zumindest die Empfehlungen der IDR an die Bundesregierung, die keineswegs endgültig, sondern ein erstes Zwischenergebnis sind, das die Bundesregierung lediglich zur Kenntnis nimmt.
Ein umfangreicher Aufgabenkatalog, der in weiteren Arbeitsschritten angegangen werden soll, ist von den Verfassern erst skizziert. Hier sollen insbesondere die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen Übergang ins digitale Zeitalter ausgelotet werden. Hinzu kommen noch zahlreiche Fragen nach Verbraucherakzeptanz, Marktanalysen und technischen Kriterien. Immerhin: Einige interessante Schlußfolgerungen werden in dem Papier schon gezogen. So fordern die Autoren: „Auch sollten proprietäre Empfangssysteme vermieden werden.“
Dieser Passus richtet sich eindeutig gegen die bisherige Politik von Bertelkirch und Telekom, die mit dem D-box-Decoder einen eigenen Gerätestandard für den Empfang des digitalen Fernsehens in Deutschland setzen wollen. Endlich wird in der Debatte um den digitalen Rundfunk das Primat der Politik – wenn auch schwach – eingefordert. Langsam, eigentlich viel zu spät, setzt sich die Erkenntnis durch, daß fehlende allgemeinverbindliche Standards bei einer Netztechnologie wie dem digitalen Fernsehen nur die Entwicklung des Marktes behindern und die Verbraucher verunsichern. Schließlich bleibt es RWE und PreußenElektra auch nicht ins Belieben gestellt, wieviel Volt sie bis zur Steckdose liefern.
An anderer Stelle spricht sich die IDR für das Übertragungssystem DAB als zukünftigen Standard für den digitalen Hörfunk aus. Ein schöner Erfolg für die DAB-Lobbyisten, die zuletzt ziemlich panisch reagierten, weil sich eine technische Alternative abzeichnet. Radioprogramme lassen sich nämlich auch im Rahmen des digitalen Fernsehausstrahlungssytems DVB übertragen.
Technologien noch einmal auf den Prüfstand
Doch ebensowenig, wie das IDR- Papier sich schon jetzt endgültig auf das Ende des analogen Fernsehens im Jahre 2010 festlegen will, werden in dem Papier die zukünftigen Übertragungsverfahren unumstößlich festgeschrieben.
Gut möglich, daß angesichts der atemberaubenden Entwicklungsfortschritte in der Digitaltechnologie noch ganz neue Übertragungs- und Empfangsmöglichkeiten zur Debatte stehen. Schon jetzt keimt etwa beim Thema digitaler Hörfunk ein Streit zwischen norddeutschen und süddeutschen ARD- Anstalten auf. Während BR und SWR voll auf DAB setzen, geht der Mitteldeutsche Rundfunk immer mehr auf Distanz, der NDR hat noch nie Interesse an der Technologie gezeigt. In Hamburg setzt man wie bei der Niedersächsischen Landesmedienanstalt auf Versuche mit Radioübertragung im terrestrischen digitalen Fernsehen, die ab 1999 beginnen sollen.
Aus diesem Grunde steht nach dem IDR-Papier jegliche der vorgeschlagenen Technologien im Jahre 2003 noch einmal auf dem Prüfstand. Erst dann sollen in Anbetracht der nationalen und internationalen Markt- und Geräteentwicklung die definitiven Abschalttermine für die analogen Rundfunkdienste festgelegt werden.
In dieser Legislaturperiode wird also wohl nicht mehr viel passieren. Dafür sind die Fragen, die sich die IDR nun im Detail stellen muß – etwa: wie werden die sozial Schwächeren kompensiert, die am Tag X plötzlich vor der dunklen analogen Mattscheibe sitzen –, noch zu vielschichtig. Eine neue Bundesregierung wird aber zügig an eine politische Umsetzung der Pläne gehen müssen, wenn der große Schritt in die inkompatible neue Technologie auch die beschworenen Effekte bringen soll.
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