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Gerhard Schröder, zieh die roten Socken an

■ Die Jugend sollte der SPD einen neuen Wahlkampfsong schreiben. 25 Künstler nahmen die Herausforderung an, heute wird der Sieger gekürt. Neben Geld winkt ein Auftritt mit Gerhard Schröder

Berlin (taz) – Gesungen hat man ja schon immer gern bei Sozialdemokratens, aber so recht zeitgemäß scheint die eigene Arbeiterkampflyrik längst nicht mehr. Manch SPD-Genosse bewegt auf Parteitagen denn auch nur tonlos die Lippen, wenn sich vorn das Präsidium bei den Händen faßt und wacker das gute alte „Wann wir schreiten Seit an Seit“ anstimmt. Die erste Strophe, leicht zu merken an den Reimen, kennen ja noch die meisten: „Wann wir die alten Lieder singen und die Wälder widerklingen, fühlen wir, es muß gelingen, mit uns zieht die neue Zeit.“ Alte Lieder – neue Zeit. Neue Lieder aber wären auch nicht schlecht. Und so eröffnete das „Junge Wahlkampfteam“ der Berliner SPD – Altersgrenze 35 Jahre, knapp unter der Schwelle zur Midlife-crisis – im Januar das Rennen um einen neuen SPD-Hit. Fetzig sollte der neue Song werden, „um das Auftreten der SPD jünger und dynamischer zu gestalten“, und weder das Wort „Sozialdemokratie“ noch „Gerhard“ mußte drin vorkommen. Schülerbands, Rockgruppen, Punkbands, Techno- Freaks, Liedermacher, wer auch immer sich berufen fühlte, den Wechsel in Bonn herbeizusingen, ward aufgerufen, Text- und Liedvorschläge einzureichen: „Stichwort: SPD-Hitwettbewerb“.

Das Echo war rege. 25 Jungkünstler sandten ihre musikalischen Werke auf CD und Kassette in die Berliner Parteizentrale, am 15. August soll der Sieger gekürt werden. Den 14 besten Einsendungen winkt die Verewigung auf einer CD, die künftig von den SPD- Wahlständen schallen soll. Der Sieger wird mit 2.000 Mark und einem Auftritt mit dem Spitzenkandidaten zum offiziellen Wahlkampfauftakt in Berlin belohnt.

Um es vorwegzunehmen: Ein „Piep, piep, piep, Gerhard hat euch lieb“ ist nicht darunter. Doch offenbar inspiriert die SPD junge Menschen zu musikalischen und lyrischen Höchstleistungen von Hornschem Niveau. Kämpferischer Agitprop nach dem Muster der Berliner Schülerband „Scavenger“ ist da eher die Ausnahme: „Herrscher der Regierung, was habt ihr nur getan, seht ihr nicht das Leid, das auf den Straßen herrscht?“ Zur SPD fällt der Jugend vor allem Wattiges ein, wie: „Ich wähl' die Roten, ist das verboten? Im Bundesrat sind wir zu zehn, und viele wollen den Lafontaine.“ Nun ja, die Sache mit dem Spitzenkandidaten ist da etwas durcheinandergeraten. Politisch korrekter und lebensnaher dichtet da schon eine Band namens „Kohl- Salat“: „Kohl und Waigel haben immer 'ne Ausrede parat, tja, Herr Kohl, nun haben Sie den Salahahat. Gerhard, du bist unser Mann, die SPD muß wieder ran. Zieh die roten Socken an.“ Bestechend in der lyrischen Aussagekraft auch das Werk der Popgruppe „Fish- Police“: „Frau Meier kommt aus den fünf neuen Ländern, ist fünfzig und hat es schwer. Die Treuhand tat ihr Leben verändern. Sie hat jetzt keinen Arbeitsplatz mehr. Noch vier Jahre Kohl, das wär' fatal. Willst auch du den Wechsel? Geh zur Wahl!“ Eingängig auch die Textzeilen einer Band namens OMCS: „Die Chance ist da, der Wechsel ist nah, die Lage ist schlecht und die Stimmung erst recht.“

Angesichts dieser geballten Ladung jugendlichen Liedguts wird sich die Jury schwertun, einen Sieger zu küren. Man darf gespannt sein, wer dem Spitzenkandidaten schließlich Ende August den Hit zum Mitsingen vortragen darf. Den größten Unterhaltungswert verspräche es sicher, wenn das punkige „Jonny Prophet Duo“ aus dem brandenburgischen Forst das Rennen machte. Nur zu gern würden wir Gerhard Schröder und die SPD-Führungsmannschaft schmettern hören: „Jujuju, wähl auch du. Die SPD ist gut, sie gibt uns neuen Mut, die SPD ist o.k., im Winter gibt es wieder Schnee“, und jetzt alle: „Arschlöcher haben es künftig schwer, unser Kanzler wird Gerhard Schröder.“ Vera Gaserow

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