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„Die Zukunft strahlt radieschenrot“

Eine Altsozi-Jury hat den Wahlkampfhit der „jungen“ SPD gekürt: „Wir sind Sozis“ lautet der Song, vorgestellt in der SPD-Diaspora Hellersdorf: die Coverversion eines „Blues Brothers“-Stückes, Tralala und seichter Text  ■ Von Jens Rübsam

Gerhard Schröder gab sich einst ungehalten. „Eine neue Hymne“, nörgelte er vor genau zehn Jahren, „ist so ziemlich das letzte, was wir brauchen.“ Seine Partei, die SPD, hatte bei dem Liedermacher Dieter Dehm ein neues Parteilied in Auftrag gegeben: „Singbar“ sollte es sein, „Herz und Seele der Genossen erwärmen“ und „kein blindes Gegröle“ auslösen. Fortan schmetterten die Genossen: „Unser Weg ist elend weit“. Sie sollten recht behalten. Bei der Bundestagswahl 1990 holte die SPD schlappe 33,5 Prozent.

Heute wird Dieter Dehm wegen Stasi-Vorwürfen von der SPD geschmäht; heute ist seine Hymne („Gib bloß nicht auf! Gib nicht klein bei!“) längst vergessen; heute ist Gerhard Schröder nicht mehr Oppositionschef im niedersächsischen Landtag, sondern Kanzlerkandidat seiner Partei; heute heißt der Wahlkampfhit „Wir sind Sozis“, gekürt am Wochenende in der SPD-Diaspora Hellersdorf; eine Coverversion eines „Blues Brothers“-Stückes, ausgelatschtes Tralala und seichter Text („Die Zukunft strahlt radieschenrot“). Gerhard Schröder will Bundeskanzler werden und ist nicht mehr per se gegen Hymnen.

Er hätte es bleiben sollen. In 40 Tagen ist Bundestagswahl, und schon jetzt sorgt ein „junges Wahlkampfteam der Berliner SPD“ für Stimmung, für schlechte Stimmung, um genau zu sein. „Konzert zum Wechsel“ steht auf der samstäglichen Einladung der Jung- SDPler und: „Eine Prominenten- Jury wird den Sieger des Hitwettbewerbes mit 2.000 Mark prämieren“ und, als Veranstaltungsort: „Hellersdorf. Weites Theater“. Hellersdorf? Hier hat die SPD bei der letzten Wahl gerade mal 19,3 Prozent geholt. Hier bekommt die SPD-Direktkandidatin Kerstin Raschke auf der Straße zu hören: „Mit bürgerlichen Parteien können wir nichts anfangen.“ Hier endet die U-Bahn-Linie 5, die Glatzen- und Schlägerlinie. Hier wird mitten im Abteil von deutschen Tugenden gesungen und von den Farben der Deutschlandfahne. Hier also will das „Junge Wahlkampfteam“ der alten Tante SPD neues Leben einhauchen. Statt altem Liedgut aus der Arbeiterbewegung („Wann wir schreiten Seit' an Seit'“ und „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“) sollen es nun flotte Töne sein („Frau Meier will den Wechsel“, „Rot hat Zukunft und Sexappeal“ oder „Kohlsalat“).

Einen hübschen Salat, um dieses Wort mal aufzunehmen, haben sich die Jung-SPDler an diesem Samstagabend selbst aufgetischt. In der Hit-Jury einer, der Anfang 50 ist: Klaus-Uwe Benneter, stellvertretender SPD-Landesvorsitzender; einer, der aussieht als hätte er sich bei Ilja Richters „Disko“ verausgabt. In der Hit-Jury eine, die 61 Jahre zählt: Ingrid Holzhüter, Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; eine, die man bei Karl Moiks „Musikantenstadl“ wippen sieht.

In der Hit-Jury Ralf Hillenberg, 42, der Direktkandidat aus Pankow, dem man leicht das Singen eines Sparkassen-Werbehits zutraut. Am Ende werden die Alt-Genossen eine Band gewinnen lassen, deren Frontsänger 41 ist. „Ja!“ nennen sich die Barden aus Sachsen- Anhalt und trällern noch einmal den Siegertitel „Wir sind Sozis“ hinein in den dunklen Saal. Die SPD, so läßt sich festhalten, hat sich wieder einmal verrechnet.

Als hätte das der väterliche Landesvorsitzende geahnt. Nach 50 Minuten verabschiedet sich Detlef Dzembritzki zum einem Lampionfest nach Tegel – nicht ohne vorher das Engagement der jungen Leute gelobt und Toleranz gepredigt zu haben. Musik ist halt Geschmacksache.

Doch irgendwo hört der Geschmack auf. Ein Dame stöhnt verzweifelt: „Da waren zu DDR-Zeiten die Lieder des Oktoberclubs besser.“ Eine andere will nur „Scheiße“ sagen. Ein Moderator von Radio Eins drückt sich diplomatisch aus: „Die CD finde ich durchwachsen.“ Tatsächlich: Die SPD hat die 14 Wechsellieder auf CD pressen lassen, 42 Minuten und 21 Sekunden schlechtester Polit- Rock. Für zehn Mark ist die Scheibe zu haben. Für zehn Mark, ein Tip, bekommt man eine gute Flasche Rotwein. Die war nötig nach dem Konzert.

Noch während des Konzertes: Hin und wieder eine Band, der man Gescheites hätte hinterherschreiben können. Zum Beispiel: Die „Freie Wahlkapelle", ein Salonorchester ala „Comedian Harmonists“ – die Melodie leicht und beschwingt, der Text („Lassen sie uns mal die Plätze tauschen“) vornehm und galant. Und man hätte anmerken können: Die Musik aus den 20er Jahren erinnert an die SPD-Wahlergebnisse der 20er Jahre. 1919 waren die Sozialdemokraten bei der Wahl zur Nationalversammlung auf stolze 37,9 Prozent gekommen. Man hätte also Gutes für den 27. September 1998 voraussagen können. Auch, wenn das Duo „Johnny Prophet“ gewonnen hätte. Musik in „Ton Steine Scherben“-Art. Musik im Stile der 70er, Demo-angehaucht und friedensbewegt. 1972 hatte die SPD immerhin ihr bestes Bundestagswahlergebnis eingefahren, 45,8 Prozent. Ach ja.

Nun wird es so sein: Gerhard Schröder wird auf Bühnen und in Festzelten „Wir sind Sozis“ zwitschern. Es wird nach Mini-Playback-Show aussehen, und die Berliner SPD wird von der Parteispitze gewiß einen Rüffel für ihren „Trauergesang“ bekommen. Nichts Neues also.

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