Selbstmord in Bremen: Mann vom Balkon in den Tod gesprungen
■ ZKH-Patient beging Selbstmord kurz nach seiner Entlassung aus Klinik-Ost
Der Patient duldete keinen Widerspruch. „Ich gehe jetzt nach Hause“, sagte ein 39jähriger Mann am Samstagmorgen zur Schwester und verließ kurz darauf die psychiatrische Abteilung des Zentralkrankenhauses Bremen-Ost. Der selbstmordgefährdete Mann wollte noch nicht einmal warten, bis die behandelnde Ärztin kam. Er packte seine Sachen und ging.
Etwa 24 Stunden später, am Sonntag morgen, stürzte er sich von seinem Balkon aus dem neunten Stock eines Hochhauses. „Mann sprang aus dem 9. Stock – tot“, titelte die Bild. „Der psychisch Kranke wurde am Wochenende aus dem ZKH-Ost entlassen.“ Es war das zweite Mal binnen einer Woche, daß das Zentralkrankenhaus-Ost in die Schlagzeilen geriet. Erst wenige Tage zuvor hatte der Fall eines 39jährigen für Aufsehen gesorgt. Der Mann hatte seiner Vermieterin am zweiten Weihnachtsfeiertag mit einer Bratpfanne den Schädel zertrümmert und sie lebensgefährlich verletzt. Obwohl bei dem Patienten elf Monate vor der Tat eine schizophrene Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden war, entließen die Ärzte ihn aus der Klinik. Grund: Er war zu laut. Neun Tage vor dem Überfall war der Mann erneut im ZKH-Ost behandelt worden. Wieder wurde er entlassen. Auch diesmal war er schwierig im Umgang, die Stimmung auf der Station war laut Aussage eines Arztes „gereizt“.
Die Arbeit mit psychisch Kranken sei mitunter „ein Balanceakt zwischen Freiheitsberaubung und unterlassener Hilfeleistung“, sagt Chefarzt Prof. Dr. Helmut Haselbeck. Etwa 6.000 Patienten suchen seinen Angaben zufolge jährlich Hilfe in den psychiatrischen Kliniken des ZKH-Ost. Bei etwa 20 bis 30 Prozent würden Selbstmordgedanken „eine Rolle in ihrem Leben“ spielen. Je nach Schwere der Störungen würden die Patienten in eine offene oder geschlossene Abteilung eingewiesen. Der Mann, der sich am Wochenende das Leben genommen hat, galt als psychotisch und wurde auf der offenen Station behandelt. „Selbst wenn wir die Befürchtung gehabt hätten, daß er sich das Leben nimmt, hätten wir keine Chance gehabt, ihn hierzubehalten“, erklärt Haselbeck. Nur mit Hilfe eines richterlichen Beschlusses kann ein Patient gezwungen werden, in der Psychiatrie zu bleiben.
Zwar sei bekannt, daß die meisten Selbstmörder ihren Suizid vorher ankündigten, so Haselbeck. Es gebe jedoch „keine objektiven Meßverfahren“, um vorauszusagen, wie ernst es einem Patienten sei. Ein gewisse Restrisiko könne daher niemals ausgeschlossen werden. „Statistisch gesehen, begehen etwa sechs Patienten pro Jahr Selbstmord“, so Hasselbeck. Bei depressiven oder schizophrenen Patienten liege die Selbstmordrate zwischen acht und zehn Prozent. „Damit müssen wir leben“, sagt Haselbeck. Trotzdem sei der Selbstmord eines Patienten „für alle immer wieder ein Schock.“
Die Zahl der Menschen, die sich im Land Bremen in den vergangenen zwei Jahren das Leben genommen haben, ist rückläufig. Während 1996 nach Angaben des Statistischen Landesamtes 138 Menschen freiwillig aus dem Leben schieden, begingen im Jahr 1997 116 Männer und Frauen Selbstmord. Männer begingen häufiger Selbstmord als Frauen. 1996 nahmen sich 89 Männer und 49 Frauen das Leben. 1997 waren es 76 Männer und 40 Frauen. Die meisten Selbstmörder in Bremen waren zwischen 25 und 60 Jahre alt. Tod durch Erhängen oder Ertrinken ist nach Auskunft des Statistischen Landesamtes die häufigste Todesursache bei den SelbstmörderInnen im Land Bremen.
kes
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