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Trotz Dementis: Rußland läßt den Rubel fallen

■ Die Regierung hat den Rubel zur Abwertung freigegeben und die Zahlung der Auslandsschulden ausgesetzt. Gestern hielt sich der Rubel noch passabel

Berlin (taz) – Die schwere Finanzkrise in Rußland hat die russische Zentralbank in die Knie und zahlreiche Bürger auf die Straße gezwungen. Die Regierung gab gestern den Rubel zur Abwertung frei und löste damit nicht nur an der Börse eine zumindest kurzfristige Panik aus. Während die russischen Zentralbanker bisher den Wechselkurs ziemlich stabil bei 6,3 Rubel für den Dollar gehalten hatten, darf er jetzt zwischen 6 und 9,5 Rubel schwanken. In Moskaus Straßen bildeten sich sogleich lange Schlangen von Bürgern, die noch günstig US-Dollar ergattern wollten.

Präsident Jelzin hatte bis letzte Woche eine Abwertung strikt ausgeschlossen. Gestern betonte Ministerpräsident Sergej Kirijenko, der noch am Freitag die Finanzkrise als psychologisches Problem abgetan hatte, die jetzige Maßnahme sei keineswegs gleichbedeutend mit einer Abwertung. Damit behielt er zur allgemeinen Überraschung erst mal recht: Der Kurs des Rubels stürzte nicht ab, der Dollar kostete auf dem offiziellen Devisenmarkt mit 6,43 Rubeln nur 12 Kopeken mehr als am Freitag.

Regierung und Zentralbank erschreckten gestern die westlichen Kreditgeber überdies mit der Ankündigung eines 90tägigen Schuldenmoratoriums. So lange werden Zins- und Rückzahlungen für Auslandsschulden nicht geleistet. Unklar ist, für wen das Moratorium gilt. Der russische Kreditunterhändler Anatoli Tschubais betonte, daß die Regierung jedenfalls ihre Zahlungspflichten erfüllen werde. Die Maßnahme ist im Rahmen einer Rubelabwertung verständlich. Wenn der Rubelwert sinkt, könnten Kreditnehmer in Schwierigkeiten geraten: Sie müssen immer mehr Rubel aufbringen, um die in Dollar ausgestellten Kredite zu bedienen.

In einer gemeinsamen Erklärung begründeten Kirijenko und Zentralbankchef Sergej Dubinin ihre Entscheidung: Die Bedienung der Staatsanleihen sei angesichts des extrem niedrigen Niveaus der Steuereinnahmen zu einer untragbaren Last für das Staatsbudget geworden. Durch den Ölpreisverfall seien die Staatseinnahmen noch weiter gesunken. Der Abfluß von Kapital ins Ausland habe überdies zu einem Rückgang der Devisenreserven geführt.

Vorteilhaft ist eine Abwertung für die Regierung: Ihre auf Rubel lautenden Schulden verbilligen sich. Und wenn die Zentralbank nun künftig nicht mehr jedem, der für Rubel US-Dollar eintauschen will, einen festen Kurs garantieren muß, ist auch sie ein Problem los. Schwierigkeiten aber dürfte die Bevölkerung bekommen, wenn der Wert des Rubels tatsächlich abstürzt. Über die Hälfte der Lebensmittel in den Läden wird aus dem Ausland importiert. Ebenfalls schlecht ist eine Abwertung für die Glaubwürdigkeit der russischen Führung, die diesen Schritt so lange ausgeschlossen hat. lieb Berichte Seite 2

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