: Detektive suchten heiße Spur beim Aldi
Das Sozialamt in Frankfurt/M. ließ ein Ehepaar zehn Tage lang überwachen. Danach wurden sie in der Boulevardpresse als „Deutschlands größte Abzocker“ hingestellt. Der schwerbehinderte Mann und seine Frau wehren sich ■ Von Heide Platen
Frankfurt/M. (taz) – Gabriela H. kauft beim Aldi ein, bei Woolworth, die Brötchen holt sie beim Bäcker. Sie kann sich kaum mehr gönnen als ein Paar Turnschuhe und zwei Paar Strümpfe im Gesamtwert von rund 40 Mark. Im Damenunterwäschegeschäft nebenan guckt sie nur, kaufen kann sie da nichts. Wovon auch: Im Portemonnaie hat sie nicht mehr als 100 Mark in kleinen Scheinen.
Dies alles ist in den Beobachtungsprotokollen der Frankfurter Detektei MDK Sicherheitsconsulting nachzulesen. Auftraggeber der Observationsarbeit: das Sozialamt der Stadt. Geschätzte Kosten der Maßnahme: zwischen 30.000 und 50.000 Mark. Die Detektive waren im März 1998 acht Tage lang rund um die Uhr mit fünf Leuten und ebenso vielen Autos auf der Spur der Eheleute H., lauschten an deren Wohnungstür, kontrollierten den Posteingang, verfolgten das Paar. Am sechsten Tag der Überwachung bemerkte die junge Frau einen ihrer Verfolger. Die Rumänin, in einem Überwachungsstaat aufgewachsen, war zu Tode erschrocken, vermutete, daß „das irgend etwas mit dem Heimatland zu tun hat“. Sie fürchtete einen Anwerbe- oder Erpressungsversuch der Securitate.
1996 hatte Gabi H. den 23 Jahre älteren Deutschen Gerd H. geheiratet. Im Sommer 1997 durfte sie aus Rumänien zu ihrem Mann in die Bundesrepublik einreisen. Gerd H. ist kein Mann für eine Scheinehe. Er sieht gut aus mit seinen dichten, graubraunen Haaren, den blauen Augen – ein Frauentyp, eloquent, gebildet, selbstbewußt. Der 50jährige raucht, ißt und trinkt gerne.
Seit seinem 35. Lebensjahr ist er schwer krank. Als Folge einer Tuberkulose sind Wirbelsäule, Hüfte, Knie, Lunge und Nieren geschädigt. Er ist als erwerbsunfähiger Schwerbehinderter anerkannt. Gerd H. sagt von sich, daß er nicht jammern will. „Ich will kein Mitleid. Ich will nur, was mir vom Gesetz her zusteht. Ich habe mir die Krankheit nicht ausgesucht.“
Seit 1983 bekommt er Sozialhilfe. „Mein Pech ist, daß ich nicht so aussehe wie ein Todkranker.“ Die Behinderung ist Gerd H. nur selten anzumerken. Dann bröckelt sekundenlang die Fassade. Er wankt, fällt fast vom Stuhl beim Versuch, einen heruntergefallenen Gegenstand wieder aufzuheben.
Im Mai, kurz nach der Observierung, strich das Sozialamt dem Ehepaar die Sozialhilfe. Begründung: Gert H. rauche zuviel und schicke zu viele Faxe an das Sozialamt. Im nachfolgenden Prozeß kamen weitere Einzelheiten aus ihrem Privatleben zur Sprache. Gert H. fragte sich: Woher wissen die das? Durch die Ungeschicklichkeit eines Angestellten der Behörde kam er in den Besitz einer Kopie des Observationsberichtes.
Dem Frankfurter Sozialamt sei er, sagt er, schon seit Jahren „ein Dorn im Auge“. „Sie kommen hierher, als wollten Sie Ihr Geld auf einer Bank abholen“, habe ihm einmal ein Mitarbeiter des Amtes gesagt. „Ich küsse denen nicht die Hand“, sagt Gerd H. Statt dessen stellte er – „Recht und Gesetz sind fast mein Hobby geworden“ – jede Woche neue Anträge. Im Amt stöhnten die Mitarbeiter bei seinem Anblick, denn der gelernte Verwaltungsbeamte, der in Berlin ausgerechnet auf dem Sozialamt gearbeitet hatte, ehe er zu einer Schallplattenfirma wechselte, unterstützte auch Leidensgefährten.
Richtig losgegangen sei der Ärger für ihn 1993. Ob dabei wirklich eine von ihm vermutete Männerkonkurrenz zwischen ihm und dem für ihn zuständigen Sachbearbeiter eine Rolle spielte, läßt sich nicht nachvollziehen. Jedenfalls häuften sich in der Folge ablehnende Bescheide, seine Widersprüche dagegen und Gerichtsurteile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs. „Das war Krieg“, sagt Gerd H. unverblümt. Aber die meisten Prozesse habe er gewonnen.
Ein Facharzt, der Amtsarzt und das Versorgungsamt bestätigten ihm immer wieder seine Erwerbsunfähigkeit. Nicht einmal Krücken, stellte der Amtsarzt fest, würden ihm helfen. H., inzwischen auch schwer herzkrank, bekam Schmerzmittel und läuft regelmäßig, bisher noch ohne den von seinem Arzt für den Notfall beantragten Rollstuhl. Die Detektive teilten dem Amt also mit, daß H. sich ohne Gehhilfen fortbewege.
Und dann kam Mitte Juli der Tag, „den ich nie vergessen werde“. Deutschlands größte Boulevardzeitung stellte ihn und seine Frau an den Pranger: „Mister Abzock“, „Der frechste Betrüger – Im Rollstuhl Sozialhilfe kassiert – dann ging er tanzen“. Seine Frau arbeite schwarz als Kellnerin. Für diesen Sachverhalt allerdings fehlte selbst den rührigen Detektiven der Beweis. Sie stellten durch Augenschein lediglich fest, daß Gabi H. während der achttägigen Observationszeit zweimal ein kleines, von einer Rumänin geleitetes Lokal im benachbarten Stadtteil Sachsenhausen aufsuchte, einmal zusammen mit ihrem Ehemann.
Daß dies tatsächlich so ist, bestätigte die Wirtin inzwischen mit einer eidesstattlichen Versicherung. Die junge Frau habe bei ihr nicht als Kellnerin gearbeitet, sondern der Freundin nur ein oder zweimal geholfen. Und getanzt habe nicht H., sondern seine Frau.
Inzwischen rüffelte der hessische Datenschutzbeauftragte Rainer Hamm die Überwachungsaktion. Das Frankfurter Sozialamt machte einen Rückzieher. Pressesprecher Ralph Klinkenborg teilte für seinen Sozialdezernenten Achim Vandreike (SPD) mit, der habe von nichts gewußt. Verantwortlich für diese Aktion sei allein der Leiter des Sozialamtes. „Das war ein Einzelfall“, so der Pressesprecher. „Wir heißen das nicht gut.“ Mehr wolle er in dem schwebenden Verfahren nicht sagen.
Das wird noch eine ganze Weile schweben. Der Anwalt von H. erstattete Strafanzeige gegen das Boulevardblatt und die Behörde. Wenn ein Verdacht gegen seinen Mandanten bestanden hätte, hätte das Amt den Rechtsweg einhalten und die Polizei einschalten müssen: „Das ist eine Privatisierung der Fahndung.“ Als besonders bedenklich empfindet er eine Passage aus dem Überwachungsbericht der Detektei, in dem dem Amt mitgeteilt wird, daß „fast alle vom Auftraggeber gestellten Fragen beantwortet werden“ konnten: „Lediglich zu den Punkten Bankkonten und Kontostände“ und „Wohnungseinrichtung liegen bisher noch keine Erkenntnisse vor. Dies müßte intensiveren Recherchen vorbehalten bleiben.“
Der Anwalt vermutet mehr als nur eine einfache Überwachung. Gegenstand des Auftrags seien weitergehende „Eingriffe in die Intimsphäre und die Freiheitsrechte eines Menschen“ gewesen. Im Gegenzug zeigte das Sozialamt H. wegen Sozialhilfebetrugs an. H. bekommt seit Mai kein Geld, in einem Eilverfahren scheiterte er. Jetzt hofft er, daß seine Frau Arbeit findet. Währenddessen hört er immer mal wieder von Politikern, für die der Einsatz von Detektiven gegen sogenannte Sozialhilfebetrüger ein „Akt sozialer Gerechtigkeit“ ist.
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