: "Kreuzberg ist wie Kosovo"
■ Im SO 36 stellte die KPD-RZ Christian Ströbele, Gregor Gysi und Ovo Maltine die Koalitionsfrage. Bei der Antwortensuche halfen unter anderem die Clintons und die berühmteste Praktikantin der Welt
Es war eine Nacht der Absolutionen, Geständnisse und Versprechen. Christian Ströbele, der grüne Direktkandidat für Kreuzberg/ Schöneberg, sprach den PDS-Bundestagsgruppenchef Gregor Gysi vom Vorwurf der Stasi-Tätigkeit frei, Hillary Clinton gestand ihrem Ehemann, daß auch sie eine Affäre mit M. Lewinsky gehabt habe, und der Kanzlerkandidat der Anarchistischen Pogopartei Deutschlands, Karl Nagel, versprach, die Probleme des Landes zu lösen.
Das ist Wahlkampf à la Kreuzberg. Das heißt, die Wahrheit, nichts als die reine Wahrheit, so wahr mir Dr. Seltsam helfe. Der Kabarettist mutete am Mittwoch abend im überfüllten SO 36 den geladenen Gästen – neben Gysi und Ströbele die Kabarettunte Ovo Maltine, die mit der Initiative „Homo 2000“ gegen Ströbele antritt – einen Wahlkampf zu, der seinen Namen verdient hatte.
Gysi, der in Marzahn als Direktkandidat antritt, betrat im Unterschied zu den Kreuzberger Direktkandidaten geographisch gesehen absolutes Neuland. Auf der Einladung stand „Die KPD-RZ stellt die Koalitionsfrage“. Eingeladen hatte die WählerInneninitiative „Aktiv gegen rechts – Ströbele direkt“. Das muß für Gysi nach einer üblichen Wahlveranstaltung geklungen haben. Vielleicht hatte er auch vermutet, daß die KPD-RZ irgendwas mit Kommunistischer Partei zu tun hat. Doch alsbald erfuhr er, daß sich hinter dem Kürzel die „Kreuzberger patriotischen Demokraten – Realistisches Zentrum“ verbergen und daß die Koalitionsfrage nur ein Köder war.
Nach dem Motto „Mitgefangen ist mitgehangen“ ließ er sich in den Wahlzirkus einspannen. Dr. Seltsams Versuche, die Kandidaten gegenseitig zur Aufgabe zu bewegen, schlugen jedoch fehl. Ovo Maltine, die eine breite schwule Unterstützerfront hinter sich weiß, blieb standhaft wie ihr Toupet, das von ihrem Bodyguard mit Haarspray in Form gehalten wurde. „Ich requiriere Wähler, die vorher nicht da waren“, sagte sie trotzig. Ströbele attestierte Ovo Maltine, „eine reizende Person“ zu sein, „die aber nicht auf den Wahlzettel paßt“.
Gysi, der an diesem Abend in den letzten Zügen seiner viertägigen Westberlin-Wahlkampftour lag, zeigte sich entschlossen. Er erklärte: „Ohne uns wird es keinen gesellschaftlichen Fortschritt geben.“ Während er Ströbele seinen kleinen Finger auf den Unterarm legte, gestand er ihm: „Wir in der Opposition wären nicht die schlechteste Variante.“ Den Kreuzbergern gestand er, daß ihr Stadtteil „etwas Östlich-Evangelisches an sich hat“. Er versprach ihnen, daß der Bezirk bei einem PDS-Wahlsieg „noch weltberühmter“ werde.
Statt, wie von Dr. Seltsam gefordert, schmutzige Wäsche zu waschen, wuschen sich Ströbele und Gysi in der zweiten Wahlkampfrunde gegenseitig die Hände. Nachdem Anwalt Ströbele Gysi vom Vorwurf der Stasi-Tätigkeit freigesprochen hatte, plädierte Anwalt Gysi dafür, den Vorwurf des Kassiberschmuggels für RAFler gegenüber Ströbele fallenzulassen. Begründung: Weil sein Mandant sehr schusselig sei, hätte Ströbele gewußt, daß er die Kassiber irgendwo liegenlassen und der Staatsschutz sie finden würde. Deshalb sei der Vorwurf absurd.
Die wahren Kontrahenten des Abends kamen aber weder aus dem heimeligen Kreuzberg noch aus dem fernen Osten, sondern aus Übersee. Die berühmteste Praktikantin der Welt blies dem Publikum den Wahlmarsch: „Fight for your rights, letztendlich seid ihr Wähler die Gefickten!“ schrie M. Lewinsky. Den Direktkandidaten gab sie Nachhilfe im Umgang mit Regierungschefs und griff Clinton beherzt in die Hose. Daraufhin riß Hillary sich das Kleid vom Leib und schleuderte ihrem Mann entgegen, ihre Affäre mit M. Lewinsky im Unterschied zu ihm nicht zu bereuen. Der Saal brüllte, und Dr. Seltsam klärte die nicht gerade prüde US-Prominenz über die Kreuzberger Verhältnisse auf: „Wir sind wie Kosovo, wir wollen selbständig sein.“ Barbara Bollwahn
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