Wir lassen lesen: Irgendwann war da auch mal Glanz
■ Erinnerungen eines Basketballers bei der Lektüre eines Buches über den 1. FC Köln
Ich bin kein Fan. Gott sei Dank. In den 70er Jahren bin ich fußballerisch sozialisiert worden. In meiner pittoresken Heimatstadt Marburg gab es nur ein beschränktes Potential an Vereinsbindung. Es war die Zeit der schlichten Kategorisierungen und Gegensätze: Gladbach, Linkssein und lange Haare waren gut, Bayern wurde mit reaktionär und falschem Bewußtsein bzw. mit schlechten Musikgruppen in Verbindung gebracht. Der große Bruder brachte Ordnung in eventuelle Ungereimtheiten, wie z.B. die richtige Wahl des Fußballvereins, also Borussia Mönchengladbach. Und wäre nicht just an dem Tag, als mein nur schwach kooperierender Vater mich mit dem Auto zum Training des FSV Cappel gefahren hatte, das Training der F-Jugend ausgefallen, wer weiß...?
Dem Ruf der Stadt, wo die Leute aus Heimweh hinziehen (Berlin), konnte ich nach der Schule nicht folgen (Basketball), statt dessen verschlug es mich auf die falsche Rheinseite nach Leverkusen (auch Basketball). Der Kulturschock war groß, die im Stile der 60er Jahre gehaltene möblierte Wohnung mit Ausblick auf das Bayer- Kreuz verbesserte auch nicht die Stimmung.
Die große weite Welt befand sich auf der anderen Rheinseite, nur 15 Kilometer flußaufwärts. Köln war riesig. Es gab echte Arbeiter, und selbst die Studenten sahen anders aus als in Marburg. Die nächsten Jahre wurden in einem schizophrenen Dauerzustand verbracht: Arbeiten in „Leeeev“, leben in Köln. Leben ist natürlich spannender; städtische Codes mußten geknackt, Terrain mußte erobert werden. Irgendwann findet man sich zurecht in der städtischen Suppe, einer Melange aus Karneval, Größenwahn, miefiger Klüngelei, Kölsch, komischen Zeitungen und Fußball. Ja genau: Fußball. Die netten Leute, die einem so meist nachts begegneten, konnten nicht nur stundenlang Kölsch in sich reinschütten und nebenher über die wichtigste neue Platte dozieren, sie hatten manchmal auch häßliche Schals um und bewegten sich zwischen größter Verzweiflung (Tabellenstand, Kölsch) und spinnerter Verzückung (Tabellenstand, Kölsch).
Der „EF-C“ war Teil dieses großen ganzen Popschwachsinns, der junge Leute verwirrt und verändert. So wie man sich dann am nächsten Tag im richtigen Plattenladen die wichtigste Platte und noch zehn andere kaufte, blieb es nicht aus, daß man dann auch mal nach Müngersdorf fuhr. Nach zig Besuchen im Ulrich-Haberland-Stadion in Leverkusen (Arbeit) und einem Ausflug nach Gladbach (großer Bruder, Provinz) nun also Fußball in „meiner“ Stadt, mit „meinen“ Leuten.
Die Krux nur: So sehr ich wollte, nichts passierte. Die Platte ließ mich tanzen, die Bücher ließen mich innerlich platzen, aber das Gemurkse auf dem Rasen Anfang der 90er ließ mich kalt. Da war kein Groove und nix. Nur das Elend konnte miterlebt werden. Daß da auch mal Glanz war, läßt sich jetzt nachlesen in dem Fußballbuch „Die Geißböcke. Glanz und Elend des 1. FC Köln“, herausgegeben von Max Annas und Elmar Wigand. Das Buch zeigt ein vielschichtiges Bild eines Fußballclubs. Gegenwart und Vergangenheit werden beleuchtet, diverse nette Anekdoten (Warum heißt das Maskottchen der Kölner „Hennes“ und warum ein Geißbock?) sorgen für Abwechslung. Es dreht sich aber nicht nur um Identifikationsstiftung, hervorgerufen durch Geschichten um den Verein und Personen des Vereins, sondern auch, und das macht primär (für den Nicht-Fan) die Qualität des Buchs aus, um Vereinspolitik (Klüngel, Größenwahn), Medien (WDR, Express, Stadtanzeiger) und Professionalisierung des Fußballs in Deutschland.
Die Selektion der „Legenden“ des Clubs ist durchaus subjektiv, aber wir reden hier über Fans, die über ihren „FC“ schreiben. Kritisieren ließe sich (muß man als Protestant und Nichtkölner), daß der glamouröse Heinz Flohe, Spielmacher der Meistermannschaft von 78 und Objekt größter Verehrung in den üblich verdächtigen Kreisen, nur am Rande auftaucht bzw. mit seinem Spitznamen „Flocke“ einzig und allein in einem Kapitel über das Verhältnis Fortuna Köln-1. FC Köln, geschrieben von einem Fortuna-Fan (gibt es auch).
„Flocke“ hin und her, daß der 1. FC Köln Gründungsmitglied der Bundesliga war, ist mir bekannt, aber die für Fans so wichtige Mythenbildung um spezielle Spiele (Liverpool!) und die progressive Ausländerpolitik des FC, im Vergleich zu anderen Clubs schon in der Frühphase der Liga, ist lesenswert und auch verwertbar als Hilfe für das Verständnis einer Stadt. Damals ging es mir primär um die Aneignung eines „wichtigen“ Köln-Phänomens, um mich gewappnet, also das Vokabular kennend, in die nächste nächtliche Partie (Party) zu stürzen.
Als ich dann anfing, mich für Kölsche Brauhäuser zu interessieren, habe ich die Stadt gen Berlin (Basketball, Leben, Heimweh) verlassen. Da gibt es einen Scheiß-Fußballverein ohne gute Leute und noch einen Verein ohne Jean Löring und Toni Schumacher. Jetzt sitze ich hier, lese ein Buch über Glanz und Elend des 1. FC Köln, bin kein Fan und kriege Heimweh. Henning Harnisch
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