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„Sieg Heil!“ vor Goethe und Schiller

300 Studenten aus 26 Ländern waren zu Gast in Weimar, der künftigen Kulturhauptstadt Europas. Sie wurden auf dem Theaterplatz von Jugendlichen angepöbelt, eine Frau gar mit einem Stein beworfen. Die Stadt reagiert hilflos  ■ Aus Weimar Jens Rübsam

Kurz vor Ende der Sommerakademie, am Freitag morgen vergangener Woche, hatte Projektmanager Georg Mackrodt noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Er mußte eine Pressemitteilung verfassen, eine Art Resümee. Keine leichte Sache. Was sollte die Welt erfahren? Was nicht? Mackrodt mußte abwägen. 1999 ist Weimar Kulturhauptstadt Europas. Georg Mackrodt schrieb also in seiner Mitteilung von „vier erlebnisreichen Wochen der mehr als 300 teilnehmenden Studenten und Lehrkräfte aus 26 Ländern“. Vom „Sprachengewirr in Weimar“ und von der „brillanten Eröffnungsrede Michael Friedmans“, dem Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden, der „die Vision eines in Demokratie, Freiheit, Frieden, Bildung und Humanität geeinten Europas auf die Sommerakademie projiziert“ habe. Dem Pressesprecher der Bauhaus-Universität reichte das nicht. Er fügte hinzu, was die Studentin Irini Mamalaki ihrer Familie in Athen nach ihrer Rückkehr erzählen wird: „Tagtäglich verbale Belästigungen und Übergriffe einer Gruppe alkoholisierter Jugendlicher, die offensichtlich unter rechtsradikalem Einfluß“ stehen.

Stunden später meldeten Radio- und Fernsehsender: „Ausländische Studenten in Weimar rassistisch beschimpft“. Georg Mackrodt mußte „Zeitungen aus ganz Deutschland“ Interviews geben. Er mußte zugeben: Eine französische Sprachlehrerin ist mit einem Pflasterstein und Bierbüchsen beworfen und Studenten sind mit „Polen-Sau“ und „Geht heim in eurer Scheißland“ beschimpft worden. Die ausländischen Gäste haben sich schon bald nicht mehr getraut, des Nachts über den Theaterplatz zu gehen.

Seit Wochen vertreiben sich auf den Treppen des Goethe- und Schillerdenkmals und auf den Bänken vor dem Bauhaus-Museum 30 bis 40 Jugendliche die Abende bei „Sieg Heil!“ und „Deutschland den Deutschen“, bei Büchsenbier und Strammstehen. „Kinder, die vor ihren Mädchen balzen“, nennt Mackrodt die Kids, „keine richtigen Neonazis, aber mit Sicherheit Rassisten.“ Da ist er sich einig mit der Polizei. „Keine organisierten Rechten“, sagt ein Sprecher. Nur drei der Jugendlichen seien als solche bekannt. „Die haben Geld in der Tasche und geben den anderen ein Bier nach dem anderen aus“, erzählte Dezernet Rudolf Dewes (SPD) der Lokalzeitung.

Gegen halb elf an diesem Freitag abend fährt vor dem Studentenclub „Kasseturm“ ein Opel vor. Hans Dietger Bätz, Fahrdienstleiter der Universität, ist noch im Dienst. Wie fast jeden Abend in den vergangenen Wochen wird er Studenten sicher nach Hause bringen. Es geht schließlich um den „guten Ruf von Weimar“. Der darf nicht „versaut“ werden. Dafür werden Überstunden geschoben. Auch in den Semesterferien.

Im „Kasseturm“ werden die letzten Fotos geschossen, die letzten Markstücke für Jever-Pils ausgegeben, werden Adressen getauscht und italienische Volksweisen rauf- und runtergespielt. Morgen geht es nach Hause, mit vielen Eindrücken. „Es war schön in Weimar“, sagt Irini Mamalaki, Studentin aus Athen, „aber die Vorfälle, die waren schlimm.“ Emmanuelle Brun, die französische Sprachlehrerin, die einen Pflasterstein neben sich aufschlagen hörte, sagt: „Das in Weimar zu erleben, tut besonders weh.“

Im Konzentrationslager Buchenwald, nur wenige Kilometer entfernt vom Studentenclub „Kasseturm“ und Theaterplatz, kamen unter Hitler mehr als 50.000 Menschen um. Ende Juli hatten drei Jugendliche – Rechte sagen die einen, Alkoholisierte die anderen – versucht, mit einem Trennschleifer die Figur einen polnischen Kindes jüdischer Abstammung abzutrennen. Wer, darf man fragen, besucht mit einem Trennschleifer eine KZ- Gedenkstätte? Inzwischen findet hier bei wichtigen Veranstaltungen ein Deeskalationskonzept Anwendung: Gedenkstätten-Mitarbeiter und Polizisten laufen „Streife“.

Auf dem Theaterplatz, laut Stadtführer das „Herz Weimars“, stehen die, von denen man seit Wochen sagt: Sie haben „nur dummes Jugendgehabe an sich“. Rasierte Schädel, Springerstiefel, Militärhosen, an den Bomberjacken Aufnäher mit „Deutschland, mein Vaterland“. Freilich darunter auch welche, die aussehen, als hätten sie sich erst gestern die letzten Pickel ausgedrückt. Die sind es, die lautstark brüllen: „Ausländer gehören eben nicht hierher“, „Das ist unser Land“, „Buchenwald war ein Luxushotel“, „Juden sind keine Menschen“. Aus ihren Gesichtern liegt ein hämisches Grinsen. Es wird noch viel breiter, wenn sie von dem Pflasterstein auf die Frau erzählen und sich damit brüsten, richtige Neonazis zu sein, die NPD wählen wählen zu wollen, wenn sie denn schon wählen könnten. „Ja, die NPD“, sagt einer, „die tut wenigestens etwas für die Jugend. Die bietet Veranstaltungen, Reisen und Konzerte an.“ Es klingt wie ein Auszug aus einem Ferienprogramm einer Pioniergrundorganisation.

Als „nicht typisch für Weimar“ will Georg Mackrodt, der Sommerakademie-Chef, die Vorfälle gewertet wissen. „Das hätte in jeder deutschen Stadt passieren können.“ Kurz nach Mitternacht an diesem Freitag abend läßt sich Irini Mamalaki vom Fahrdienst nach Hause bringen. Der Flieger nach Athen geht früh. „Die Stadt hätte etwas tun müssen, um die Vorfälle zu verhindern“, sagt sie noch.

Die hatte es zugelassen, daß während des Sommerschlußverkaufs ein Einzelhändler unmittelbar vor dem Goethe- und Schillerdenkmal einen Bierwagen aufstellen konnte, Direktversorgung für die Rechten sozusagen. Nun ist man um Schadensbegrenzung bemüht, im Februar 1999 wird das Kulturhauptstadtjahr offiziell eröffnet. In der Kernstadt sollen zwei Streetworker eingesetzt werden. Die Polizei hat eine „Arbeitsgruppe Theaterplatz“ eingerichtet. „Mehr können wir aber auch nicht tun“, sagt ein Sprecher und verweist auf das Rathaus. Die Händler am Theaterplatz fordern ein „Platzverbot“ für die Jugendlichen und wollen private Wachschützer engagieren. Die PDS hat eine nächtliche Diskussionsrunde über Rechtsextremismus angekündigt. Am Mittwoch wird der Schriftsteller Günter Grass in der Stadt sein – Motto der Veranstaltung: „Zeit, sich einzumischen“.

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