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Die FDP setzt auf die Zweitstimme

Auf ihrem Parteitag gingen die Liberalen schonend mit ihrem Koalitionspartner um, weil sie sich jetzt doch eine CDU-Zweitstimmenhilfe erhoffen. Einigen ist das peinlich. Sie vermissen eigene Akzente  ■ Aus Bonn Markus Franz

Hoppla, traut sich die FDP etwa doch noch was gegenüber ihrem Koalitionspartner? Gegen Ende des Parteitags der FDP in Bonn am Samstag ziehen Mitglieder der Jungen Liberalen in weißen Gefangenenleibchen, auf denen horrende Beitragszahlen stehen, in den Saal der Beethovenhalle ein. An ihrer Spitze ein als Norbert Blüm Maskierter, auf dessen T-Shirt prangt: „Die Rente ist sicher“. Die Botschaft lautet: Die Jugend läge ohne die Rentenpolitik der FDP in Fesseln.

Und doch ist die Szene auch ein Symbol dafür, daß die FDP in Wirklichkeit vor der CDU zu Kreuze kriecht. Beim Ausmarsch ertönte die Titelmusik von „Ben Hur“, obwohl eigentlich der Gefangenenmarsch von Nabucco gespielt werden sollte. Aber das war den Parteitagsstrategen zu gefährlich. Die Assoziation von der babylonischen Gefangenheit mit der CDU lag zu nahe. Besser den Koalitionspartner nicht unnötig reizen. Schon gar nicht, da sich die FDP nun entschieden hat, auf eine Zweitstimmenkampagne zu setzen, bei der sie auf die Hilfe der CDU angewiesen ist. Noch auf dem Dreikönigstreffen ihrer Partei am Anfang des Jahres war Jubel ausgebrochen, als Generalsekretär Guido Westerwelle den Delegierten versprach, sich nie wieder derart in die Abhängigkeit der CDU begeben zu wollen wie 1994. Damals hieß der Slogan: FDP wählen, damit Kohl Kanzler bleibt.

Aber die Existensangst ist nun doch größer als die besten Vorsätze. Überall im Saal liegen blau- gelbe Kärtchen mit dem Slogan „Zweitstimme“. In einem Werbefilm, der über Großbildleinwand eingespielt wird, tippt eine Hand auf das Computerfeld „Zweitstimme“. Einige Delegierte sind peinlich berührt. Muß es denn so offensichtlich sein, daß die FDP nicht auf ihre eigenen Stärken setzt? Mag ja sein, daß es schwer ist zu versprechen, was alles besser werden soll, wenn man selbst seit 16 Jahren an der Regierung beteiligt war, aber darf sich die FDP dennoch so klein machen? Schließlich, sagen einige FDP-Abgeordnete, gäbe es eine Alternative: Die Partei müßte an die Fortsetzung der Koalition bestimmte Bedingungen knüpfen, wie etwa die Durchführung einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Westerwelle hatte das im Laufe des Jahres einmal angedeutet, war dann aber vom FDP-Präsidium zurückgepfiffen worden.

Und so setzt die FDP in erster Linie auf einen Lagerwahlkampf. Parteichef Wolfgang Gerhard beschäftigt sich den weitaus größten Teil seiner Rede damit, die Grünen als Anschlag auf die Arbeitsplätze und als außenpolitisches Risiko darzustellen. SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder bekommt sein Fett ab als opportunistischer, widersprüchlicher Schwätzer, der nur eine einzige Machtoption hat: „Rot-Grün mit oder ohne PDS“. Bezeichnend auch das Ende der Veranstaltung: Theatralisch entfaltet sich über die ganze Breite der Bühne ein Transparent mit der Message: „Liberal oder Rot-Grün-PDS“. Es bleibt Westerwelle vorbehalten, inhaltliche Positionen der FDP darzustellen: Steuersenkungen, Abbau der Steinkohlesubventionen, mehr Privatisierungen, Beibehaltung der 620-Mark-Jobs, Abitur nach 12 Schuljahren, Reform der sozialen Sicherungssysteme, Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Und über allem steht die Botschaft: „Wir sind die Partei für diejenigen, die leisten wollen, und nicht für diejenigen, die auf Kosten anderer leben möchten.“ Aber wer will die Inhalte schon hören, erst recht, wenn sie nicht zur Hauptsache gemacht werden? Die Medienvertreter scheinen hauptsächlich an der Fortsetzung des Streites über die Ablösung von Kanzler Kohl durch Fraktionschef Schäuble interessiert zu sein. Doch sie werden enttäuscht: Gerhardt stellt Kohl als Kanzlerkandidat nicht in Frage. „Wenn die Zeit gekommen ist“, sagt er, werde er zusammen mit Kohls Nachfolger Schäuble „Verantwortung für Deutschland“ übernehmen. Will Gerhardt also Minister werden? Na denn. Die Gespräche zwischen Journalisten und Delegierten drehen sich in erster Linie weiter um die Zukunft Kohls. Die FDP wird die Geister nicht los, die sie selbst beschwor.

Schließlich hatte sie den Streit um Kohl bewußt angeheizt. Erst war es Westerwelle, der für die Ablösung Kohls während der kommenden Legislaturperiode plädierte. Dann legte Fraktionschef Hermann-Otto Solms nach, indem er einen Zeitplan für die Ablösung forderte. Die Verärgerung von Parteichef Gerhardt war nur gespielt. Solms Vorstoß war vorher mit den Führungsleuten der FDP abgesprochen worden. Irgendwie muß die FDP ja in die Schlagzeilen geraten.

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