: Der Planet ist zu retten
■ Warum pressen uns die Grünen nicht mehr mit der ökologischen Katastrophe unsere Stimme ab? Die Heinrich-Böll-Stiftung lud zur Debatte um die Identität der Öko-Partei
„Es ist fünf vor zwölf“, das war der Notruf, mit dem die Gründer der Grünen ihre Bewegung und ihre Partei ins Leben riefen. Zum Bundestagswahlkampf findet man auf den Plakaten davon nichts mehr. Mit „Im Westen was Neues“ oder „Grün ist nicht alles, aber ohne Grün ist alles nichts“ empfehlen sich die Grünen für die Bundesregierung – dagegen ist sogar die Stadtgrün-Reklame „Auch Menschen mögen Grün-Anlagen“ noch weitgehender. Ist es nicht mehr fünf vor zwölf? Haben die Grünen klammheimlich eingeräumt, daß das industrielle System anpassungsfähiger ist als man damals glaubte? Wird der Planet nicht mehr geplündert? Ist die große Krise vielleicht vermeidbar? Was bleibt von der Identität der Grünen?
Diese Frage spaltet die Öko-Partei in „Fundi“-Denker und „Realos“. Frei von fraktioneller Taktik wollte die Heinrich-Böll-Stiftung darüber einmal öffentlich nachdenken und hat deshalb den Kieler Landtagsabgeordneten Karl-Martin Hentschel und die Berliner Wissenschaftlerin Tina Stein aufs Podium eingeladen.
„Es geht darum, den Schmetterling zu retten um seiner selbst willen, ohne daß jemand einen ökonomischen Vorteil davon hat“, spitzte Tina Stein das Problem zu: Wie soll sich dafür in einer „parlamentarischen Wettbewerbsdemokratie“, in der alles auf „win-win“ ausgerichtet ist, eine Lobby bilden? In der Interessen-Demokratie regiert das Bauch-Bewußtsein, zitierte sie Rudolf Bahro, Antworten auf die ökologische Krisensituation erfordern „Sonntagsbewußtsein“. Die Grünen müßten daher von der drohenden Katastrophe reden und an das Verantwortungsbewußtsein der Menschen appellieren. In der Verfassung müßten Normen festgeschrieben werden, die die Menschen unabhängig von schwankenden Mehrheiten auf ökologische Schranken verpflichten. „Ökologische Leitplanken für die Demokratie, nannte das der Moderator des Gespächs, Ralf Fücks.
Gegenpol Karl-Martin Hentschel, der wirtschaftspolitische Sprecher aus Kiel, wartete mit einmem Feuerwerk von Beispielen dafür auf, daß grüne Politik eine Erfolgs-Nummer sein kann, wenn man eben nur die Interessen der Gewinner zu organisieren versteht. Shell will in die Solarenergie einsteigen, die Schweizer Bürger haben in einer Volksabstimmung beschlossen, daß die gesamte Landwirtschaft in 8 Jahren auf Öko umgestellt werden soll. Und geben wir nicht dreimal soviel Geld für den Müll aus und machen noch dazu ohne Murren die Sortier-Arbeit? Veränderung ist machbar, sie muß nur gut verkauft werden, sagt Hentschel, das heißt: von den richtigen Leuten. Multiplikatoren müssen überzeugt werden, die Masse dagegen erreicht man über die elektronischen Medien mit Zweieinhalb-Minuten-Häppchen: „Die Menschen haben Vertrauen zu Persönlichkeiten.“ Ökologie ist der Schlüssel zur Modernisierung der Volkswirtschaft. Krisen-Gerede entspreche nicht dem Zeitgeist, eher Sicherheitsdenken. Hentschel: „Ich verspreche Stabilität.“ Nur die Grünen wissen, wie man die Krise vermeidet.
Das ging selbst Ralf Fücks etwas zu weit. Das Sicherheitsdenken wirke doch meist als Bremse für Reformen, warf er ein. Im Saal verbreitete sich Unbehagen angesichts des Gefühls, eine grüne Gewinner-Identität, die Shell überzeugt, könnte die grüne Partei überflüssig machen. K.W.
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