: Wählen für das Recht auf Rückkehr
Bei den Wahlen am kommenden Wochenende können die nationalistischen Parteien in Zentralbosnien auf ein gutes Ergebnis rechnen. Dennoch hoffen die Vertriebenen, nach Hause zurückkehren zu können ■ Aus Vitez/Travnik Erich Rathfelder
Leichter Herbstnebel ist an diesem Morgen über dem Lasva-Tal in Zentralbosnien aufgezogen. Doch die Konturen des hochaufragenden Bergmassivs des Vlasic sind deutlich zu sehen. Er begrenzt das weite Tal nach Norden hin und war einer der wichtigsten strategischen Punkte im bosnischen Krieg. Kaum eine Region wurde damals so umkämpft wie diese. Und kaum eine Region entsprach dem Bild des „Leopardenfells“ so wie dieser Teil Zentralbosniens. Hier lebten vor dem Krieg Kroaten, Muslime (Bosniaken) und auch Serben neben- und miteinander. Hier überschnitten sich während des Krieges die Interessen der kriegführenden Parteien, der Armeen der Kroaten, Serben und Bosniaken.
Am Fuße des Vlasic liegt die von einer Burg und vielen Moscheen geprägte Stadt Travnik, die damals 70.000 Einwohner zählte und heute von Bosniaken kontrolliert wird. Im Zentrum des Tals hingegen, in der Stadt Vitez, die vor dem Krieg 27.000 Einwohner zählte, haben die Kroaten das Heft in der Hand.
Seit dem Abkommen von Dayton gehört das Lasva-Tal zu dem Kanton „Zentralbosnien“ der bosniakisch-kroatischen Föderation, die zusammen mit der anderen „Entität“, der „Republika Srpska“, den Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina bildet. Bosniaken und Kroaten leben wieder zusammen in einem gemeinsamen Staat und hier in einem gemeinsamen Kanton. Sie sollen am kommenden Wochenende gemeinsame Parlamente wählen, eine funktionierende Selbstverwaltung aufbauen und die Wirtschaft in Schwung bringen.
Doch die Wunden des Krieges sitzen noch tief. „Alle brauchen noch etwas Zeit“, sagt Zenada K. Die Bosniakin sitzt inmitten einer Gruppe von muslimischen Rückkehrern, die wieder in ihrem Dorf Gačice, das drei Kilometer von Vitez entfernt auf den umliegenden Hügeln inmitten des von Kroaten kontrollierten Gebietes liegt, leben wollen.
Hier begann im April 1992 der Krieg im Kriege, der Krieg der Kroaten gegen die Bosniaken. Als am 16. und 17. April 1993 Spezialtruppen der kroatischen HVO, die sogenannten Jokers, von Bosniaken bewohnte Dörfer, überfielen und mehr als 200 Menschen ermordeten und Tausende in Lager verschleppten, war eine neue Welle der „ethnischen Säuberungen“ ausgelöst.
Im Gegenzug mußten die meisten Kroaten Travniks die Stadt verlassen und aus den Dörfern am östlichen Rand des Tales fliehen, es entbrannten heftige Kämpfe in der Region, es waren Kämpfe von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf. Hinzu kam die Bedrohung von der serbischen Artillerie, die zuweilen vom Bergmassiv des Vlasic das Tal beschoß.
Zenada ist heute in einem Konvoi aus Polizei, Fahrzeugen der Flüchtlingsorganisation UNHCR und den Autos der Rückkehrer, insgesamt 25 Familien, hierher nach Gačice heraufgekommen. Seit die internationalen Organisationen das Jahr der Rückkehr ausgerufen haben, wird Druck auf die lokalen Behörden ausgeübt. Bei einem ersten Versuch der Rückkehrer vor vier Wochen, das alte Dorf zu besuchen, versammelten sich aber über 1.000 Kroaten, um die Bosniaken an der Rückkehr zu hindern. Jetzt jedoch ist alles ruhig geblieben. Vielleicht liegt das auch daran, daß an der gesamten Strecke hin zum Dorf Soldaten der internationalen Streitkräfte SFOR postiert sind.
Zenada betrachtet ihr bis auf die Grundmauern zerstörtes Haus, das sie am 4. Mai 1993 verlassen mußte. „Wir wurden wie Vieh auf einen Lastwagen geladen und zum Busbahnhof in Vitez gebracht. Danach wurde dieses Haus ausgeraubt und gesprengt.“ Von Vitez aus gelangte die Frau mit ihren Kindern in die benachbarte und von Bosniaken gehaltene Großstadt Zenica. Fünf Jahre hat die Familie dort zugebracht. „Jetzt möchten wir endlich nach Hause.“
Kann sie denn das Haus wiederaufbauen? Sie will es mit Hilfe ihrer Brüder versuchen. Ihr Blick gleitet über die fruchtbare, grüne Landschaft, die Obstbäume und die Ruinen der Häuser. Baumaterialien würden durch die internationalen Hilfsorganisationen gestellt, hofft sie. Dies sei versprochen worden. „Vor allem die deutschen Diplomaten, Hanns Schumacher und Christian Schwarz- Schilling, haben sich für uns eingesetzt.“
Haß empfände sie nicht mehr. Zu den kroatischen Nachbarn, die jenseits der Bäume kaum 200 Meter entfernt ihre Anwesen haben, hätte sie immer Kontakt gehabt. „Von denen haben wir nichts zu befürchten, von den Radikalen aber ja, die ein Zusammenleben nicht zulassen wollen.“
Trotz Spannungen hat sich seit Kriegsende schon einiges getan. Kroaten kommen nach Travnik, Bosniaken besuchen Vitez, wo sich in der Altstadt – Stari Vitez – in einer Enklave, die bosniakische Bevölkerung, rund 2.000 Menschen, während des Krieges halten konnte. Es ist kein Problem mehr, mit dem Auto die Gebiete der „anderen“ zu durchfahren. Vor drei Jahren noch mußten die Menschen Überfälle dort befürchten. Dennoch leben die Bevölkerungen getrennt.
Beide Seiten haben eigene Schulen, eigene Telefonsysteme, eigene Verwaltungen, Steuerbehörden. Die kürzlich eingeführte „gemeinsame Währung“ – die Konvertible Mark – wird in dem kroatischen Teil von Vitez nicht angenommen, hier muß mit der kroatischen Kuna bezahlt werden. Einige hundert Meter weiter, im bosniakischen Stari Vitez, dagegen ist die Kuna nicht akzeptiert, hier wird mit der Konvertiblen Mark bezahlt. Lediglich die Deutsche Mark wird auf beiden Seiten akzeptiert. Liegen hier nur kroatische Zeitungen aus, sind auf der anderen Seite lediglich bosniakische zu sehen. Demgegenüber gibt es seit den letzten Wahlen 1996 und 1997 Parlamente im Kanton und in den Städten, in denen auch die Abgeordneten der jeweiligen Vertriebenen sitzen. Es gibt sogar eine gemeinsame Kantonspolizei.
Die einspurige Straße schlängelt sich hinunter nach Vitez. Am Stadtrand wird gebaut. Es sind Einkaufszentren für elektronische Geräte, Haushaltswaren und Baumaterialien entstanden, die von Kunden aus ganz Bosnien, sogar aus der Republika Srpska, besucht werden. Die Blicke der kroatischen Frauen und Männer in Vitez sind nicht freundlich, als sie das Auto der Journalisten erblicken. Einige junge Männer stehen in Gruppen herum und beobachten die Szenerie. „Manche dieser Leute sitzen in Häusern, die Bosniaken gehören“, sagt der 38jährige Adman Terzic, der bisherige Präsident des Kantons, ein Mitglied der muslimischen Nationalpartei SDA, der die Rückkehrer nach Gacice begleitet hat. Haben die Leute jetzt Angst, die Rückkehrer könnten ihre Wohnungen einfordern? „Sicher. Aber alle Leute sollen das Recht haben zurückzukehren, woher sie auch kommen. Die Rückkehr nach Vitez wurde bisher blockiert.“ Von wem? „Fragen Sie doch die Autoritäten der Stadt.“
Im Zentrum wehen die Fahnen der „Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft“, der HDZ, der kroatischen Nationalpartei. Das Büro der Partei liegt in einem kroatischen Kulturzentrum, in dem auch das Regionalfernsehen und die kroatische „Partei des Rechts“ untergebracht sind. Eine Plakatwand mit dem kaum noch erkennbaren Konterfei des kroatischen Vertreters im bosnisch-herzegowinischen Staatspräsidium, Kresimir Zubak, ist abgefackelt. Der hat sich nämlich vor wenigen Monaten von der HDZ abgespalten und eine eigene Partei gegründet. Und diese „Kroatische Initiative“ will sich nicht mehr gegen die Rückkehr stemmen und die Auflagen von Dayton erfüllen.
Der Vorsitzende der HDZ in Vitez heißt Dragan Vukadinović. Der schmale und energische Vierziger weist alle Vorwürfe weit von sich, die HDZ organisiere den Widerstand gegen die Rückkehr. „Die kroatische Bevölkerung hat unter dem Krieg am meisten gelitten“, sagt er, „warum dürfen Kroaten nicht zurück nach Bugojno und nach Travnik? Weil die SDA dort deren Rückkehr blockiert.“ Die internationale Gemeinschaft setze sich nur für die Muslime ein, nicht für die Kroaten.
Natürlich will er nicht zugeben, daß die Demonstration gegen die Rückkehrer von Gacice vor vier Wochen durch seine Partei organisiert war. Seither ist er wie der Bürgermeister unter starken Druck der internationalen Gemeinschaft geraten, der Hohe Repräsentant protestierte ebenso wie die internationalen Hilfsorganisationen. Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR übernahm die Federführung bei der Rückkehr nach Gacice.
Dragan Vukdanović mußte deshalb wohl nachgeben. Er sagt aber nichts dazu. Er will gehen, um eine Wahlrede zu halten. Auf einem Sportplatz am Rande der Stadt ist das Podium aufgebaut. Er ist enttäuscht. Kaum 200 Leute verlieren sich auf dem weitläufigen Gelände, vor allem Männer, Veteranen des Krieges. Noch vor zwei Jahren kamen 10.000 Menschen zur Wahlversammlung der Partei.
Vor der Zentrale der Sozialdemokratischen Partei (SDP) in Travnik dröhnt laute Rockmusik aus den Lautsprechern. Eine Gruppe von Jugendlichen verteilt allerlei Wahlgeschenke, Kugelschreiber und Feuerzeuge. „Die Nationalparteien sind in der Defensive“, freut sich Ismet Lisica, Pressechef der SDP in der Stadt, „wir sind eine nichtnationalistische Partei.“ Er freut sich über den Zulauf aus allen Bevölkerungsschichten. „Die Leute haben die Nase voll von den nationalistischen Phrasen, sie wollen ein Land ohne innere Grenzen, sie wollen nach Hause, sie wollen ein einheitliches Schulsystem, eine Polizei, eine Armee, sie wollen das Land endlich wirtschaftlich aufbauen.“ Die SDP sei überall aktiv, bei den Kroaten, den Bosniaken, auch in der Republika Srpska. „Auch dort haben wir viel Zulauf.“
Gerin Huazem, Spitzenkandidat und Parteichef, warnt aber vor zuviel Euphorie. Zwar könnten die Nationalisten in Vitez und Travnik die Massen nicht mehr mobilisieren, am Wahltag würden sie hier im Lasva-Tal jedoch die meisten Stimmen auf sich vereinigen. „Aber wir werden einen Achtungserfolg verbuchen, in den großen Städten werden wir die Nationalisten schlagen.“
Inzwischen ist es dämmerig geworden. Einige der Rückkehrer aus Gašice fahren wieder nach Zenica, um die Nacht dort zu verbringen. Auch sie werden wählen gehen. Für welche Partei sie stimmen werden, verraten sie nicht. „Hauptsache“, sagt einer, „wir leben bald wieder zu Hause.“
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