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„Schreien und Kiffen“

■ taz-Nullnummer wird 20 / An die Geburtswehen erinnert sich Ex-Redakteurin, Michaela von Freyhold

Vor 20 Jahren dachte noch niemand an eine Bremer Lokalausgabe der taz. Bremen war allenfalls eine Stadt, in der sich eine Gruppe Linker gefunden hatte, um den Traum von der Gegenöffentlichkeit wahr zu machen. Es ging darum, bundesweit eine journalistische Alternative zu schaffen. Wie das ausgesehen hat, berichtet Michaela von Freyhold* , die damals dazugehörte.

taz:Michaela, du warst damals dabei ...

Michaela v. Freyhold: Ja, aber frag' mich nicht nach den genauen Daten. Ich weiß noch, vorher gab es einen Aufruf im Zusammenhang mit einer sozialistischen Konferenz oder wie das hieß, da war auch der Rudi Bahro aktiv. Da wollte man die noch vorhandene, gespaltene Linke zusammenfassen. Ursprünglich waren wir sechs oder sieben, dann kamen kurzfristig 60 Leute, aber es blieben auch welche weg. Schließlich blieben 15; der Robert Bücking war auch dabei.

Diese taz-Initiative war also bunt zusammengewürfelt?

Wir hatten den gemeinsamen Grundkonsens, daß wir darunter gelitten haben, daß die Linke sich auf Partialthemen eingeigelt hatte. Wir wollten das mal wieder verallgemeinern ...

... und die Erschütterungen durch die RAF-Fahndung auffangen?

Autonome waren bei uns eigentlich nicht dabei. Aber die Frauenbewegung war vertreten, ein paar, die gewerkschaftlich gearbeitet haben, ein paar aus dem Bereich Frieden und Dritte Welt – das war mein Bereich.

Wir wollten mal unzensierte Nachrichten bringen – und waren natürlich gegen die Bild-Zeitung. Deswegen hieß die erste Bremer Doppel-Nullnummer auch „Bald“, mit rot, und drunter: „kommt eine neue Zeitung“.

Noch keine Rede von „taz“?

Wir wußten ja nicht, wie das Ding heißen sollte, an dem wir da gearbeitet haben. Aber die Inhalte haben mich noch jahrelang verfolgt. Der Robert Bücking* hat da nämlich gegen die Abschaffung der Bremer Sperrmüllregelung protestiert, der fand es unsozial, daß die wegfallen sollte. Das haben wir damals mit ins Blatt genommen.

Das war lokal. Am 22. September 1978 erschien dann die erste überregionale Nullnumnmer.

Also Moment. Die erste Überregionale wurde in Frankfurt produziert. Wir trafen uns mal in Frankfurt, mal in Berlin. Die lokalen Ausgaben waren sozusagen zum Üben. Wir waren ja keine Journalisten – und wollten auch keine werden, Uns ging es um die Tiefe des Inhalts, nicht um die Eleganz der Darstellung.

Bei der ersten überregionalen Nullnummer vor 20 Jahren gings im Bremer Beitrag um 700 bevorstehende Entlassungen bei Klöckner, heute Bremer Stahlwerke. Wie habt ihr entschieden, das ins Blatt zu nehmen?

Das weiß ich nicht mehr genau. Wir waren bei so einem Redak-tionstreffen ja insgesamt zwischen 60 und 80 Leute, kamen aus der ganzen Republik, hatten eigenes Material mitgebracht und auch irgendwie Tickerzugang. Zu zwei Dritteln waren Spontis gekommen, die ganz gegen Hierarchie und feste Arbeitsteilung waren. Mein Freund und ich waren für Ausland zuständig, haben uns was gegriffen und einfach geschrieben. Aber alle paar Stunden gab es neue Konferenzen, da wurde alles wieder umgeschmissen, dabei haben die Leute sich furchtbar angekrischen.

Wir hatten uns zwei Tage Zeit gegeben, am Ende war's dann fertig, wir hatten eine Abschlußtagung, wo auch die Umsiedlung nach Berlin beschlossen wurde – aber da waren 60 Prozent der Leute schon bekifft. Daran kann ich mich noch gut erinnern.

Habt ihr geglaubt, daß das Projekt „Zeitung“ was wird?

Ja, wir waren sicher, daß das was wird. Geld war ja schon halbwegs beisammen. Das Problem war, daß wir ganz schnell lernen mußten, wie man eine Zeitung herstellt.

In Bremen hat das gedauert ...

Ach, Lokalredaktionen standen da noch nicht im Programm, was interessant war, sollte überregional reingefüttert werden. So kam es wohl auch zu dem Klöckner-Artikel damals. Bei den späteren Nummern war es schon geordneter, da hat man sich auf eine Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Abteilungen geeinigt, aber die Redaktion – das waren noch Vollversammlungen. Da wurde diskutiert, was jeder einbringen will. Ich weiß noch, ich war für Ausland zuständig – und kurz vor Schluß schrie plötzlich jemand, „aus dem Ticker kommt noch ein untergegangener Tanker, kann hier jemand was machen?“ Ich weiß noch, wie ich verzweifelt über dem Tanker saß und nicht wußte, was ich machen sollte.

Wie ist das für dich zuende gegangen?

Ich habe noch zwei Jahre von Bremen aus die Afrika-Redaktion gemacht, nachts BBC gehört und so. Da hatten wir noch den Grundsatz, daß wir nicht nur berichten, wenn's mal irgendwo knallt. Dann gabs endlich eine feste Stelle, dafür kam jemand anders.

*Freyhold war damals gerade Professorin an der Bremer Uni geworden, Bücking ist heute Ortsamtsleiter Mitte/Ost

Fragen: Eva Rhode

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