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Schöne absurde Warenwelt

Der Flohmarkt in Neukölln ist nichts für Leute, die rare Antiqitäten suchen. Hier gibt es gebrauchten Nagellack, alte Wasserhähne und professionelle Beratung in Sachen Fernbedienung. Eine Besichtigung  ■ Von Michael Neubauer

Von Sonntagsruhe kann am S-Bahnhof Neukölln keine Rede sein. Wie an anderen Tagen auch strömen hier die Menschen vom Bahnhof zur Karl-Marx-Straße, zum Greifen nah senken sich lärmend die Flugzeuge zur Landebahn des Flughafens Tempelhof hinab. Doch einen idyllischen Sonntagsspaziergang will hier sowieso niemand machen. Schnäppchenjagd ist angesagt, ums Eck ist ein Flohmarkt der anderen Art. Keine teuren Antiquitäten oder edle Porzellanvasen stehen hier zur Auswahl, sondern abenteuerlich zusammengestellte Nutzgegenstände und schlechter Trash zu günstigen Preisen. Mit Schickimicki-Flohmärkten wie denen an der Straße zum 17.Juni oder auf der Museumsinsel hat dieser Flohmarkt genauso wenig zu tun wie Neukölln mit dem Savigny-Platz.

Der Markt findet auf dem Parkplatz des SB-Warenhauses Interspar statt. Dort, wo während der Woche die Autos der Einkäufer parken, stehen nun Stände mit all dem Tand aus Menschenhand. Türken und Deutsche teilen sich das Areal und verzaubern den Supermarktvorplatz zum Neuköllner Bazar. Drinnen glänzend neu und überflüssig, draußen alt, ein wenig schäbig, aber von hohem Gebrauchswert: Die Absurdität der Warenwelt wird an diesem Platz zur Vollkommenheit gebracht.

Und schnell fragt man sich, wer eigentlich für die Herstellung so mancher Verrücktheiten verantwortlich ist: für die aberwitzigen Inhalte von Überraschungseiern, die hier schön sortiert in kleinen Kabinen aus Plastik auf ihre Abnehmer warten. Für die vielen Musikkassetten wie „Marschieren mit Max Greger, Folge 2“, die vielen Spielzeugrevolver, die hier neben Seifen plaziert sind.

„Eine Mark, eine Mark“, schallt es aus vielen Ecken. „Die Sachen sind hier sehr billig, das liegt natürlich an der Sozialstruktur der Besucher“, sagt Studienabbrecher Christian (44), der heute die Stände vergibt. Viele Arbeitslose verdienen sich so mit dem Verkauf von Habseligkeiten noch ein paar Mark zur Existenzsicherung dazu, andere wiederum kleiden sich einfach neu ein. Kleidungsstände allerdings gibt es zu viele: „Wir haben zu viele Klamotten und Technik, die Mischung könnte besser sein.“

Gerne würde er mehr Bücher sehen oder Antiquitäten, aber dazu fehlt die Klientel. Andererseits bietet der Flohmarkt einen guten Einblick in die rasante Veränderung der Welt der Kommunikationstechnik. Wenn jemand wissen möchte, welche Telefonserien vor der Entwicklung des Handys existierten, hier gibt es sie noch. Klobig, mit glatten und verwurschtelten Schnüren, mit großen, manchmal schön, manchmal obskur verzierten Gabeln.

Besonders an diesem Markt ist auch, daß einige Händler sich sehr gut mit ihrem Ramsch auskennen. Der vierundfünfzigjährige Ibrahim Mrkonjic hat einen ganzen Tisch mit alten Fernbedienungen ausgelegt und ist umringt von Interessenten, die die Sonys und Nordmendes von Anno dazumal bestaunen. Er weiß, welche Fernbedienung zu welchem Fernseher paßt, und wenn auch er damit Probleme bekommt, hat er die richtigen Kataloge zur Hand. „Entweder sie verlieren ihre alte, oder sie geht kaputt“, sagt er. Den Leuten fehlt ihr Zappinstrument, und mit dieser Not verdient er ein wenig. 40 Mark hätte er gerne für ein Exemplar, aber weil Aldi neulich für 20 Mark Universalbedienungen verkauft hat, kann er nicht mehr viel verlangen.

Etwas weiter läßt ein demolierter Spielzeugkoffer ahnen, wie grausam Kinder sein können. DerPerücke daneben täte eine Wäsche ganz gut. Highlight sind die halb aufgebrauchten Flaschen voller Badeöl und Nagellack, die in der Sonne im Innern sicher ihr Eigenleben entwickeln, und das natürlich zum Preis von einer Mark. Dann das tote Tamagotchi, angelehnt am Zahnpastaset. Der oberfränkische Heimatkalender liegt über der Schrift „Gewährleistung der Ordnung, Sauberkeit und Hygiene in der Hauptstadt der DDR Berlin“ – selbst hier, wo alles nur noch Ramsch ist, gibt es heftige Kontraste.

Gabriela Harms sitzt heute erst zum zweiten Mal unter den wehenden Interspar-Fahnen, davor hat sie auf dem großen Flohmarkt in Lichtenrade verkauft. Vor allem Kleidung liegt auf den Tischen vor ihr, Kinderpullis in Glitzerhellblau und Auswaschlila. „In Neukölln haben wir mehr Publikum als anderswo, das liegt an der Gegend“, sagt sie, wie auch immer sie das meint.

Wer sich Neues nicht mehr leisten kann, hole sich zwischen Einkaufswagenschlangen und Hauptverkehrsstraße seine ausgewaschene Jeans: „Studenten, Türken, Deutsche, alle, die es nicht so sehr im Geldbeutel haben.“ All die halt, denen die Teilnahme an der Wegwerf- und Neukaufgesellschaft verwehrt ist. Sie suchen den Askona-Außenspiegel, den Tankdeckelverschluß und eine Diskette und können sich die üblichen Ersatzteilpreise nicht leisten.

Was es nicht gibt, sind Handys, Fahrräder und Autoradios. Doch „das wird geklaut, deswegen darf so was hier nicht verkauft werden“, sagt Christian. Knallkörper und Kriegsgerät übrigens auch nicht, so die Verordnung. Was soll's, ein besonder schickes Exemplar aus dem großen Wasserhahnhaufen oder eine Dreifachsteckdose aus dem meterhohen Kabelsalat tut es auch.

Sonntags, 8–15 Uhr, Karl-Marx- Straße 231, Neukölln

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