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■ QuerspalteWende gut, alles gut!

Die deutsche Sprache hat mehr als 200.000 Wörter. Politiker wissen das zu schätzen. So können sie von Zeit zu Zeit ihre Wortwahl ändern. Dann merken die Zuhörer nicht, daß es immer noch um das gleiche geht. Die neuen Begriffe klingen komplizierter und wichtiger als die alten. „Kriseninterventionskräfe“ etwa nannte man früher „Expeditionschor“. „Freisetzen“ hieß einmal „entlassen“. Ein Wort aus der politischen Sphäre blieb den Deutschen aber über lange Jahre erhalten: Die „Wende“. Als Willy Brandt 1969 ohne die CDU regieren durfte, wendete die BRD zu ersten Mal. Dreizehn Jahre später nannte man Helmut Kohls Kanzlerwerdung sogar „Die Wende der Wende“. Die „Wende“ hatte sich bewährt. Sie stand für eine stille Übereinkunft zwischen Politikern und Volk. Eine semantische Definition der Extraklasse: Wir reden vom Neuen, aber keine Angst, eigentlich bleibt doch alles beim Alten.

Gestern abend gab es übrigens keine „Wende der Wende der Wende“. Und das kann man sogar auf einer Seite behaupten, die vor 18 Uhr Redaktionsschluß hatte. Die „Wende“ ist nämlich aus der Mode gekommen. Sie, die jahrelang für Ablösungen und Auswechslungen aller Art stand, ist selbst ausgewechselt worden. Der „Wechsel“ hat die „Wende“ abgelöst. Seit acht Jahren mögen die Deutschen ihre „Wende“ nicht mehr. Als 1989 die DDR zerbröselte, war sie, die Wende, nämlich plötzlich wieder in aller Munde. Blöd nur, daß sich damals wirklich was änderte. 17 Millionen waren plötzlich Ossis und 60 Millionen mußten Solidarbeitrag zahlen. Seitdem ist die Wende unten durch. Deshalb war im diesjährigen Wahlkampf nur noch vom „Wechsel“ die Rede. Was aber ist das, ein „Wechsel“?

Ein Klimawechsel? Dreht uns Gerhard Schröder die Heizung ab? Ein Tapetenwechsel? Gibt's schöne neue Innovationsblümchen an den Wänden? Oder doch wieder Rauhfaser? Ein Trainerwechsel? Wolfgang Schäuble wird Teamchef und Oskar Lafontaine Bundestrainer? Die Grünen glaubten irrtümlich, der Wechsel trage ihre Farbe. Bäumchen, Bäumchen, verwechsel dich nicht!

Im Wortsinn steht „Wechsel“ für ein Schuldversprechen. „Wir werden nicht alles anders machen, aber vieles besser“, hat der „Wechsel“ 1998 versprochen und gemeint: „Wählt mich, damit bestimmt alles bleibt, wie es ist.“ Der „Wechsel“ ist die Nummer sicher. Noch ängstlicher und langweiliger als die gute alte Tante „Wende“. Aber auch ehrlicher. Auch ein Scheck wird manchmal „Wechsel“ genannt. Meistens platzt er dann. Robin Alexander

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