■ Nachschlag: So kommt die Kunst ins Krankenhaus: Theater im Klinikum
Spät war es und ziemlich kalt und dunkel, da hatte man den Veranstaltungsort noch immer nicht gefunden und irrte durch die Grünanlagen der Steglitzer Universitätsklink, wo sonst die Kranken mit den Verwandten wandeln. Dies sollte allerdings kein Krankenbesuch, sondern ein Theaterbesuch werden. Schließlich betrat man mit dem letzten Mut das Hauptgebäude und war gerettet.
Eine junge Frau führte durch lange und sterile Gänge. Hie und da ein weißbekittelter Mensch, bis man einen Hörsaal erreicht hat. In den steil abfallenden Sitzreihen sitzen schon ein paar Leute, ein Monitor wirft schwarzweißes Flimmern auf eine Leinwand. Hinterm Pult, wo sonst der Professor predigt, steht mit steifer Miene ein bezopfter junger Mann. Dann schiebt er nach und nach vier Bahren herein, die alle hübsch bunt bezogen sind. Vier Menschen, die besonders am Kopf sehr dicke Verbände und ansonsten Frack und Melone tragen, sitzen drauf: ein Mann, drei sehr junge Frauen.
Zwei von ihnen fangen langsam an zu trommeln, die dritte Frau (Serok Park) und der Mann (Bernd Ludwig) beginnen dabei zu reden. Vom Verschwinden, das wohl so etwas wie Sterben ist, und vom Sprechen selbst, das eigentlich nur das Plätschern von Worten ist. „Fahles Ende kleiner Begierden“ heißt der Abend, der Autor Jürg Laederach, ein etwas verstaubter Avantgardist aus der Schweiz, die auch das Mutterland des Roten Kreuzes ist. So kommt die Kunst ins Krankenhaus.
Nach den kleinen Begierden hält man dann sechzig Minuten umsonst Ausschau. Was schließlich zu der Überlegung verleitet, daß mit diesen kleinen Begierden wohl das Leben selbst gemeint sein muß, das in diesem Krankenhaus langsam zu Ende geht. Und wo sonst Medizinstudenten an ausgewähltem Patientengut ihre Studien treiben, sehen nun ein paar Theaterbesucher einer Kunstanstrengung zu. Die beiden koreanischen Percussionskünstlerinnen Hyo- Eun Shin und Hyo-Jin Shin trommeln ziemlich gut. Bernd Ludwig als knarziger Pessimist und Serok Park als naives Kind versuchen, dem Text eine Schärfe zu geben, die er aber leider nicht hat, weil er nämlich in Sprachkünstlerpose erstarrt ist.
Regisseur Christian Barthelmes und seine „theatrale Unternehmung eins“, die im Klartext wohl so etwas wie eine freie Theatergruppe ist, hatten im letzten Jahr mit dem ersten Projekt „Forschungen eines Hundes“ ziemlichen Erfolg. Das neue Projekt nun krankt ein bißchen daran, daß man sich am Kunstanspruch verhoben hat. Kunst, der man die Anstrengung anmerkt, ist schon ein Pflegefall. Und so war der Theaterbesuch irgendwie doch ein Krankenbesuch. Esther Slevogt
10., 11., 16., 17., 18., 24., 25.Oktober, 20.30 Uhr.
Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Eingang West, Hindenburgdamm 30 Reservierung: 2859558
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