: Die greise Diva unter den Flughäfen
Vor 75 Jahren wurde der Flughafen Tempelhof eingeweiht. Heute ist er der weltweit älteste noch betriebene Airport. Wo früher der erste Motorflieger der Welt abhob und die Versorgungsflugzeuge der Luftbrücke landeten, starten heute Geschäftsleute nach Mönchengladbach ■ Von Philipp Gessler
Was wäre der Flughafen Tempelhof, der heute 75 Jahre alt wird, wenn er ein Mensch wäre? Vielleicht eine greise Ufa-Diva. Denn wer sich das Werden des ältesten der drei Berliner Flughäfen so vorstellt, versteht sofort seine Vita.
Arme Kindheit: Wie es sich für einen Filmstar gehört, stieg Tempelhof aus ganz kleinen, sehr deutschen Verhältnissen auf. Der Flughafen wurde auf einem uralten Exerzierplatz angelegt, auf dem schon der preußische „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. seine Untertanen durch den Matsch trieb. Erste Flugzeuge starteten hier Anfang unseres Jahrhunderts – 1909 stieg auf diesem Feld sechs Kilometer von der Stadtmitte das erste Motorflugzeug der Welt auf. Die Stadt Berlin kaufte das Feld, am 8. Oktober 1923 wurde der Flughafen eröffnet: Zwei Flugzeugschuppen, ein Stationshäuschen, beide aus Holz, das war's.
Aufstieg zum Star: In den 20er Jahren baute die Berliner Flughafen Gesellschaft (BFG) die Piste schnell aus – heute erstreckt sich das Flughafen-Areal über 400 Hektar. Hier wurden weltweit erstmals Passagiere regelmäßig über Nacht geflogen, nach Königsberg. Das war einer von bis zu 175 Starts und Landungen pro Tag in Tempelhof, wo 1926 auch die Deutsche Luft Hansa gegründet wurde.
Pakt mit dem Teufel: Kaum waren die Nazis 1933 an die Macht gekommen, planten sie größenwahnsinnig den Ausbau zum Mega- Flughafen, es wuchs ein Koloß mit rund 9.000 Büroräumen und einer Hallenfront von 1.240 Metern Länge – der Flughafen gilt noch heute als das größte zusammenhängende Gebäude Europas. Der Erweiterung des Flughafens mußte das KZ Columbia weichen, das eines der ersten im Nazi-Reich war: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftler, Geistliche, Freimaurer und Schwule wurden 1936 ins KZ Sachsenhausen geschafft. Mit dem Kriegsausbruch beendeten die Nazis den internationalen Flugverkehr völlig.
Nach Hollywood: Die Rote Armee eroberte Tempelhof 1945, übergab ihn nach wenigen Wochen an die Amerikaner; die U.S. Air Force zog erst vor fünf Jahren ab. Billy Wilder drehte hier Teile seines Klassikers „Eins, Zwei, Drei“. Zur Legende aber wurde Tempelhof mit der Berlin-Blockade 1948/49 – der innerstädtische Flughafen war die Hauptstütze der Luftbrücke. Einen Rekord stellte der 16. April 1949 dar, als innerhalb von 24 Stunden 1.030 Flugbewegungen (Starts und Landungen) in Tempelhof gezählt wurden. Heute zeugt ein kitschiges Wandbild in einer Ecke der zentralen Abfertigungshalle von der Rührung, mit der manch älterer Hauptstädter daran denkt – und an angeblich 22 Tonnen Naschzeug, das mitflog.
Unter Ami-Hoheit startete Tempelhof nun durch, war schon 1954 wieder der Passagierzahl nach der größte Flughafen Deutschlands, der drittgrößte Europas. Und 1971 wieder ein Rekord: Jetzt wurden hier 5,56 Millionen Passagiere abgefertigt.
Karrierebruch: In der letzen Augustnacht des Sommers 1975 zogen die Airlines Pan Am und British Airways aus den wuchtigen Mauern, den zivilen Linienflugdienst von und nach West-Berlin übernahm der neugebaute Flughafen Tegel. Eine grüne Idylle machte sich um die monströsen Nazi-Bauten breit. 1985 konnte man erstmals wieder einen Linienflug buchen – wenn auch nur nach Paderborn.
Letzte Blüte: Mit der Wiedervereinigung ging die Lufthoheit an die deutschen Behörden über, nach 45 Jahren durften wieder deutsche Geschäfts- und Privatflugzeuge hier landen. Da Tegel bald überfüllt war, wichen deutsche und ausländische Fluggesellschaften nach Tempelhof aus – aber der Duft der großen, weiten Welt weht nicht mehr in der strengen Haupt-Abfertigungshalle: Zielorte wie Brüssel oder Prag sind das höchste der Gefühle für Weltbürger. Die putzige Anzeigenwand bietet Flüge nach Mönchengladbach und Friedrichshafen... der Geschäftsmann, der zum Flug nach Münster erst zehn Minuten vor dem Start zum Schalter hastet, erreicht seinen Flieger noch locker.
Zeit für Memoiren: Seit 1995 steht Tempelhof unter Denkmalschutz. Der Muff von tausend Jahren bleibt den Berlinern erhalten – Tempelhof ist der älteste Flughafen der Welt, der noch in Betrieb ist. Aber es ist ein Sterben auf Raten. 90 Prozent aller Passagiere auf dem zum „Regional- und Ergänzungsflugshafen“ degradierten Airport sind Geschäftsleute. Nur noch ein Viertel der 300.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche werden direkt für den Flughafenbetrieb genutzt. Der Berliner Polizeipräsident, ein Revuetheater und der Deutsche Wetterdienst gehören zu den neuen Mietern.
Letzter Vorhang: Wenn alles klappt, wird Tempelhof 2002 geschlossen, verbliebene Fluggesellschaften sollen dann nach Schönefeld umziehen. Denn dort entsteht (laut Planung) bis 2007 der neue Großflughafen Berlins. Vielleicht werden dann in Tempelhof neben ein paar Vögeln noch ein paar Ambulanz-Flugzeuge in die Berliner Luft starten... dann hat die alte Diva ihre Ruhe.
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