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BuchmessernZur Säule verschraubte Bildungsattrappen

■ Auch Schmerzliches muß das Auge des Bücherfreunds erdulden. Trotzdem ist man nicht nur bei Unselds immer wieder gerne Gast

„Aus Freude am Lesen“ prangt in schmucken Buchstaben an der Wand bei btb. Darunter stehen fünf Weinflaschen im Regal. Das ist leicht zu begreifen. Der Zusammenhang zwischen Geistigem und Hochprozentigem ist die Basis allen Geschehens auf der Messe — vom Verlags-Frühschoppen im Karmeliterkloster bis zum letzten nächtlichen Umtrunk im Café Laumer.

Da ist Kondition gefragt, wenn Buch für Buch das Motto gilt: Aus Freude am Trinken. Sehr fragwürdig dagegen, daß „Aus Freude am Lesen“ am Bertelsmann-Stand auch auf der Karosserie eines BMW-Roadster behauptet wird — ein Lotteriehauptpreis, der mit Leselust nun wirklich nichts mehr zu tun hat. Aber was soll's. Um die Ecke hat der Motorbuchverlag seinen Stand und stellt einen schwarzen Porsche 356 von 1950 aus: „Do not touch“.

Kleine Verlage können sich so teure Autos nicht leisten. Kleine Verlage können sich sowieso nichts leisten, manchmal nicht einmal die Bücher, die sie produzieren und auf die sie in klagendem Tonfall hinweisen, weil sich angeblich niemand für sie interessiert.

Das könnte aber auch ihr Glück sein. Die mittleren, prosperierenden Verlage, bei denen etwas zu holen ist, werden nämlich beharrlich von Aufkaufgerüchten umwittert. Hanser, Eichborn und Kiepenheuer & Witsch, so munkelt es in den Messehallen, stünden kurz vor dem Verkauf an Bertelsmann, der Deal sei praktisch schon perfekt, die Übernahme des Berlin Verlages nur ein kleines Vorspiel gewesen, und was aus Diogenes, dieser Schweizer Goldgrube, werde, wenn der Verleger Keel eines Tages abtrete, wer könne das schon sagen? Das ist zwar alles Quatsch, aber auch ein bißchen wahr. An den Ständen von Eichborn und Kiwi ist immerhin zu erfahren, daß Kaufangebote großer Konzerne im Wochenrhythmus gang und gäbe sind. An beiden Ständen ist jedoch die Laune gut und das Selbstbewußtsein groß: Uns geht es prima, unser Weg ist mit Erfolgen gepflastert — also warten wir's ab. Die Verlagslandschaft wird in Zukunft mit Sicherheit anders aussehen.

Erschreckend gut geht es auch Siegfried Unseld. Beim traditionellen Kritikerempfang in seiner Frankfurter Villa, auf der Wichtigkeitsskala ganz weit oben angesiedelt, betont der Verlegerpatriarch so nachdrücklich, wie „sehr, sehr gut“ es dem Suhrkamp Verlag durch die erfolgreichen Bücher dieses Herbstes gehe, daß man sich wirklich Sorgen machen muß. An der Wand hängt ein schönes Porträt von Robert Walser, ansonsten nichts als Regale und Bücher. „Schauen Sie sich um“, sagt Unseld, „hier hat sich nichts verändert. Alles ist, wie es war.“ Nur eines sei anders, daß nämlich seit März Christoph Buchwald als Verlagsleiter fungiere: „Treten Sie mal einen Schritt vor, Herr Buchwald“, sagt Unseld, und, als könne er es selbst nicht glauben: „Das ist er. Das ist also der Mann an meiner Seite.“

In der Ecke, gleich neben dem Lesetischchen, an dem jetzt der Schweizer Peter Weber sein Manuskript zurechtrückt, sitzt ein kleiner blonder Mann mit Kapuzenjacke und nagelneuen Turnschuhen: Rainald Goetz. Er schreibt wie besessen, lacht manchmal komisch in sich hinein, schaut dauernd auf die Uhr, um vor jeder Notiz auch die Uhrzeit des Notierens zu notieren. Keine Zeit für Gespräche! Er schreibt rasend schnell und ohne aufzuschauen der eiligen Gegenwart hinterher, verzweifelt bemüht, die Wirklichkeit irgendwo festzuhalten, die ihm doch unentwegt in die Vergangenheit hinein entschlüpft. Soll man es tragisch finden oder heroisch? Es zuckt in seinem Gesicht. Keine Zeit zum Trinken!

„Lunkewitz?“ sagt wenig später der Taxifahrer, „das ist doch so ein Immobilienspekulant. Dem sollte man auch mal 'ne Bombe reinwerfen.“ Bernd Lunkewitz, Besitzer des Berliner Aufbau- Verlages, Frankfurter Altlinker, hat sich keine Villa, sondern ein Schloß im klassizistischen Stil des 19. Jahrhunderts an den Frankfurter Stadtrand gebaut. Mit gewaltigem Säulenportal, Treppenaufgang und statt Zimmern Sälen. Goldener Stuck an der Decke, Yves Klein, Keith Haring und mehrere Gerhard Richters unbescheiden an den Wänden. Blickt man aus dem Fenster, erkennt man fern, am anderen Ende einer gepflegten Rasenfläche, ein kapellenartiges Gebäude: Das ist ein Schwimmbad. In jedem Raum flackert ein Kaminfeuer, im Foyer klimpert ein Pianist. Die Teppiche sind so dick, daß jeder Schritt darin erstickt. Die Empire-Stühle mit Brokatbesatz könnten aus Schloß Sanssouci stammen. Die Bibliothek im englischen Landhausstil ist mit meterhohen Regalen ausgekleidet, doch viele Bücher darin stehen auf dem Kopf. Das schmerzt den Bücherfreund. Neben dem antiken Schreibtisch ist ein Stapel aus kostbaren Folianten aufgebaut. Die Bücher lassen sich aber nicht bewegen. Sie sind zur Säule verschraubte Bildungsattrappen. Reichtum demonstrativ bestaunbar gemacht.

Muß man noch erwähnen, wie phantastisch das Buffet schmeckt? Das zarte Fleisch? Die leckeren Erdbeertörtchen? Der feine Wein? Ja, man ist gerne Gast. Aus Freude am Lesen. Jörg Magenau

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