: Mit Teigklümpchen zum Höhepunkt
■ "Ohne Strom" war der Titel einiger Aufführungen, die vergangenes Wochenende in den Räumen des Neuen Berliner Kunstvereins zu sehen waren. Das Fazit von vierzehn Performances in drei Tagen: Das ganze Leben i
Der Titel war Programm: Ganz „Ohne Strom“ sollten sie sein, die insgesamt vierzehn Performances, die von Freitag abend bis Sonntag nacht in den Räumen des Neuen Berliner Kunstvereins (NBK) zu sehen waren.
Nur komisch, daß eine Wand ausgerechnet mit vielen Steckdosen regelrecht zugepflastert war. Ein hängengebliebenes Kunstwerk oder schon Teil einer Performance? Dieses Rätsel löste Ingolf Keiner (Berlin) mit seiner Performance. Wie ein Verkünder steht er da: „Die meisten Menschen verlassen ihren Körper, wenn sie sterben, an einem Punkt auf der Höhe des Steißbeins“, gibt er mit einer Singsangstimme zum besten. An der Wand mit den scheinbar unmotiviert angebrachten Steckdosen nimmt er die Anordnungen zur Folie für Figuren, lauscht immer wieder an den kleinen Dingern, die ein Geheimnis bergen. Nur welches, fragt man sich.
Guter Diskussionsstoff für die Pause. Fast alle kennen sich irgendwie, reden, lachen, machen manchmal plötzlich irgendwelche Sachen. Man ist ständig auf dem Sprung: Als ein Mann mit seinem Schirm seltsam umständlich herumspielt, kommt die Frage auf, ob das jetzt die nächste Performance ist. Aber nein, die fängt erst später an.
Doch die Situation lehrt: Das ganze Leben ist eine Performance. Folgerichtig wird man selbst gefragt, ob das viele Mitgeschreibsel Kunst oder Arbeit sei.
Eindeutiger ist die Sache bei Stephan Us aus Havixbeck (bei Münster). Er zieht sich aus, legt sich auf den Boden, bestreut sich mit Mehl, schafft ein Abbild seiner selbst. Das aber häufelt er zusammen, knetet mit Eiern, Hefe und Wasser einen Klumpen Teig. Schmiert sich damit Ohren, Nasenlöcher und Augen zu. Legt sich auf den Rest, robbt darüber hinweg, hinterläßt eine Teigspur, die an der nächsten Wand endet. Dort hebt und senkt Stephan Us sein Becken, immer schneller, immer lauter atmend, bis er nach einigen Minuten kraftlos – nach dem Höhepunkt – liegen bleibt.
Ohne Strom mußte am Sonnabend auch das Institut INFUG aus Bamberg auskommen. Teil ihrer Performance ist es eigentlich, mit einem Diaprojektor ein Bild an die Wand zu werfen. Aber ohne Strom? Trotzdem zeigte Fridolin Kleuderlein mittels Stab Details der imaginären Abbildung. Und entlarvte: Bilder sind auch nur Täuschungen.
Persiflierend kam am Sonntag Jürgen Wolfs (Offenbach) daher. Auf einem Berg von Laubsäcken stehend, die Augen verklebt, sang er das Lied von der „schönen Odenwälderin“. Zum Abschluß wurden Franz Gratwohl und BBB J. Deimling (beide Berlin) politisch: Sie schritten über das aus Knäckebrotscheiben gelegte Wort „Kosovo“, schmissen mit Buchstabennudeln und Euro-Schokotalern um sich, bauten eine „Rett(d)ich-Armee“.
Und weil so ein schönes und zudem qualitativ hochkarätig besetztes Festival nicht ohne Vorträge auskommen kann, gab es jeden Abend einen, mal mehr, mal minder spannend. Hans Jörg Tauchert fragte, wie man sich am besten ein Bild von einer Performance macht. Kein Video, „sondern das Gesehene ins Schriftliche übersetzen“. Andreas Hergeth
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