: Die Filmkritik kommt vom Geheimdienst
■ Eigentlich soll der Thüringer Verfassungsschutz Rechtsextremisten nachspüren. Statt dessen befaßt sich die Behörde mit einem Fernsehjournalisten, der sich in der rechten Szene besser auskennt als sie
Von Helmut Roewer kann man etwas lernen. Beispielsweise in Sachen Filmkritik. Das ist zwar nicht unbedingt sein Fach. Aber als Präsident des Verfassungsschutzes von Thüringen hat man eben auch so etwas drauf. Und so verlieh der Geheimdienstchef in einem Fall das kritische Prädikat: „Pädagogisch fragwürdig“.
Die Kritik galt einem Film, den der Fernsehjournalist Rainer Fromm im Auftrag der Thüringischen Landeszentrale für politische Bildung gedreht hatte. Der halbstündige Aufklärungsfilm sollte Ursachen und Ziele der Rechtsextremen an Schulen bekannt machen. Fromm ist ausgewiesener Rechtsextremismus-Experte: Seit zehn Jahren recherchiert der 32jährige Journalist zu dem Thema, arbeitet für Arte und die ZDF-Fernsehmagazine „Kennzeichen D“ und „Frontal“.
Doch kaum hatte die Landeszentrale den Film Mitte Oktober in Erfurt vorgestellt, meldete sich Kritiker Roewer: „Die im Film präsentierten Rechtsextremen müssen sich geschmeichelt fühlen“. Zudem würden Dinge suggeriert, die so nicht stimmten, erklärte der Verfassungsschutz- Chef. Er sei „sehr verwundert, daß wir nichts, der Filmemacher aber als einziger im vorab alles von einer Neonazi-Demo in Gotha wußte“. Für sein Nichtwissen hatte Roewer auch gleich eine Erklärung: „Es gibt Rechtsextreme, die behaupten, daß die Filmaufnahmen in Gotha gestellt worden sind. Ich finde es nicht witzig, wenn der Polizei im Film dann anschließend Tatenlosigkeit vorgeworfen wird.“
Zu sagen oder auch nur anzudeuten, jemand habe Szenen im Stile des Fernsehfälschers Michael Born inszeniert, ist keine alltägliche Kritik, sondern so ziemlich der ehrenrührigste Vorwurf gegen einen Journalisten. Entsprechend „fassungslos“ ist Fromm. Er habe nie „auch nur einen Rechtsextremen bezahlt“.
Auch die Verantwortlichen der Landeszentrale für politische Bildung trauten ihren Ohren kaum. Schließlich saßen im Projektteam auch Regierungsvertreter. „Filme zu bewerten, gehört nicht in den Kompetenzbereich des Verfassungsschutzes“, sagt Peter Spirek, bei der Landeszentrale für Jugendbildung zuständig. Dennoch sei der Film noch mal Experten und Pädagogen gezeigt worden: „Ihr Urteil war eindeutig. Fromm hat gute Arbeit abgeliefert.“ Die Landeszentrale verfaßt jetzt noch Begleitmaterial und läßt die 37.000 Mark teure Produktion etwa 70-mal vervielfältigen. „Die Kopien gehen dann an alle Thüringer Kreisbildstellen und sind dort für jede Schule abrufbar“, erklärt Spirek.
Mittlerweile hat offenbar auch Verfassungsschützer Roewer gemerkt, daß er übers Ziel hinaus geschossen ist. Der Präsident erklärte schriftlich: „Ich habe mir die Behauptung nie zu Eigen gemacht, daß die Aufnahmen über die rechtsextreme Demonstration in Gotha gestellt worden seien, und das habe ich auch nie behauptet! Ich wundere mich deshalb, wie Fromm behaupten kann, jemand habe ihn beschuldigt, die Veranstaltung inszeniert zu haben“. An seiner inhaltlichen Kritik hält der Geheimdienst-Mann aber fest.
Für Fromm ein Skandal: „Anstatt Journalisten hinterher zu recherchieren und die Pressefreiheit in Frage zu stellen, sollte sich der Verfassungsschutz lieber endlich wirksam mit den rechtsextremen Strukturen befassen“. Der Filmemacher vermutet hinter der Attacke eine Retourkutsche. Die Verfassungsschützer wußten nämlich nicht nur nichts von der braunen Demo in Gotha. Es bedurfte beispielsweise auch erst Fromms Arbeit, um aufzudecken, daß eine faschistoide Zeitung in den Genuß von Landesmitteln gekommen war. Im Mai hatte der Reporter im ZDF berichtet, daß das Zeitungsprojekt über 23.000 Mark vom Erfurter Sozialministerium als Existenzgründungsbeihilfe erhalten hatte – eine äußerst peinliche Angelegenheit für die Landesregierung und den ahnungslosen Verfassungsschutz. Nick Reimer
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