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KommentarNeue Chefs in der Deutschland AG

■ Rot-Grün regiert - und nun?

Irgendwie, um es so präzise wie möglich zu sagen, ist gestern ein alter Sponti-Traum in Erfüllung gegangen. Wir sind an der Macht! Eine frühere taz-säzzerin ist Gesundheitsministerin, ein früherer RAF- Anwalt Innenminister, ein Atomkraftgegner Umweltminister, ein militanter Frankfurter Straßenkämpfer Außenminister. Wer vor zwanzig Jahren am WG-Tisch prophezeit hätte, daß es einmal so kommen wird, dazu noch mittels Stimmzettel und ganz ohne Militanz, wäre als hoffnungsloser Naivling verhöhnt worden. Wahlen wären verboten, wenn sie etwas verändern könnten, gehörte schließlich zu unserem ideologischen Basiswissen. Das linksalternative Wir existiert allerdings schon lange nicht mehr. Ob diese Wahl viel außer den Biographien der Gewählten ändert, muß sich erst noch erweisen.

Nur eines wissen wir schon heute. Rot- Grün wird die Republik nicht umkrempeln. Es ist ein Zweckbündnis, der Koalitionsvertrag ein vorsichtiges Stück politischer Prosa. Systemkonformer Pragmatismus regiert anstatt ideologischer Blütenträume. Die Steuerreform wird die Ungerechtigkeiten des bisherigen Steuersystems nicht beseitigen. Dem Versuch, Energie teurer, Arbeit aber biliger zu machen, fehlt es an Kraft. Rot-Grün, das ist der rebellische Sohn, der nach seinen Flegeljahren geläutert in den Schoß der Familie zurückkehrt und den elterlichen Betrieb übernimmt. Sicherlich mit ein paar unkonventionellen Ideen, aber ansonsten der Familientradition verpflichtet.

Unspektakulär tut Rot-Grün, was überfällig ist und nichts kostet – ganz im Dienste der Kontinuität. Die Einigung auf ein Verfahren zum Atomausstieg und auf die Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes sind Korrekturen, die bislang am Firmenpatriarch Kohl scheiterten. Das ist nicht toll, aber auch kein Grund, gleich wieder der „Politiker machen alles falsch“-Masche zu verfallen. Nein, die Regierung hat nicht bereits abgewirtschaftet, bevor sie im Amt ist, wie man bisweilen von taz bis FAZ liest. Es übernimmt lediglich eine Generation das Ruder, die bisher das Pathos der Rebellion liebte. Was sie sonst noch kann, darf sie nun zeigen.

Eines müssen die neuen Chefs allerdings neidlos einräumen. Kohl hatte eine Vision – die europäische Einigung. Und dieser ist er ein gutes Stück näher gekommen. Welche Sponti-Träume werden in ein paar Jahre wahr geworden sein? Stefan Reinecke/Eberhard Seidel-Pielen

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