Das Portrait: Anarchist der Filmmusik
■ Ennio Morricone
Einfache Folgen sind es, die zu Dauerbrennern werden: ein flüchtig gesprochener Satz über Sein oder Nichtsein, eine Kombination von vier Tönen, die eine gewisse Fünfte Sinfonie einleitet. Oder ein einzelner, gedehnter Mundharmonikaton. Mehr brauchte Ennio Morricone nicht, um sich ins kollektive Ohr ganzer Kinogängergenerationen einzubrennen.
Seit mittlerweile dreißig Jahren treibt Henry Fonda auf der Leinwand sein schurkisches Spiel mit Charles Bronson und läßt das Lied vom Tod anstimmen: Wunschkonzert Italowestern. Und seit siebzig Jahren gibt es mit dem heutigen Tag Morricone selbst.
Es waren die existentialistischen Spätwestern, die ihn bekannt machten: „Für eine Handvoll Dollar mehr“, „Zwei glorreiche Halunken“ und eben „Spiel mir das Lied vom Tod“. Dabei werden seine Soundbasteleien gerade heute wiederentdeckt – als Basis für Techno-Remixturen und als Material für Avantgarde-Jazzer vom Schlage John Zorns. Doch schon in den Sechzigern war Morricone Kult. Dem katholischen Anarchisten war kein Klang heilig genug, um ihn nicht zu brechen, zu ironisieren: wilde Männerchöre, Maultrommeln, Glocken, Opernpräludien, Peitschenhiebe, betörende Sopranvokalisen, entfesselte Percussion, elegische Oboensoli und verstimmtes Gitarrengezupfe – ein einzigartiger Mix aus neobarocker Weihe, Pop, Musiqiue concrète und Commedia-dell'arte- Tollheit.
Regissseur Sergio Leone und Ennio Morricone wurden zu einem unzertrennlichen Team, wie es bereits Federico Fellini und Nino Rota waren. Für sechs Leone- Filme schrieb Morricone die Musik, grandioser Höhepunkt und Abgesang war das opernhafte „Es war einmal in Amerika“ von 1983, Leones letzter Film. Daneben hat Morricone mit allen führenden Regisseuren des sozialkritischen italienischen Films gearbeitet. Scores für Bertolucci, Pasolini, Petri, Pontecorvo und Wertmüller festigten seinen Ruf als unorthodoxer Modernist.
Seit seinem oscarnominierten Soundtrack für Roland Joffés „Mission“ (1986) ist Morricone auch ein Mann für Hollywood. Roman Polanski, Brian de Palma, Barry Levinson und Oliver Stone heuerten ihn an. Die Chancen stehen nicht schlecht, daß er auch den Kinopalästen des 21. Jahrhunderts erhalten bleiben wird. Matthias Büdinger
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