„Öcalan darf auf keinen Fall straffrei bleiben“

■ Der bündnisgrüne Abgeordnete Cem Özdemir lehnt eine Auslieferung Öcalans an die Türkei strikt ab

taz: Herr Özdemir, soll der PKK-Chef Öcalan von Italien aus in die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert werden?

Cem Özdemir: Er muß auf jeden Fall vernommen werden. In dem erweiterten Haftbefehl der Bundesanwaltschaft sind ja auch die sogenannten extra-legalen Hinrichtungen, also Morde und Bestrafungsaktionen gegen angebliche Abweichler und Aussteiger der PKK enthalten.

Daß heißt, Beamte des Bundeskriminalamtes werden ihn in Rom vernehmen?

Eines ist klar: Wir wollen keine Belastung unseres Verhältnisses zu Italien. Wir werden mit den dortigen Behörden also bald klären, wo und wie Öcalan vernommen wird. Auf keinen Fall aber darf das Signal ausgesandt werden, daß ein Mann wie der PKK-Chef, der Verantwortung für viele Morde trägt, straffrei ausgeht, während andere PKK-Kader, die diese Morde ausführten, derweil einsitzen. Sollte Öcalan straffrei bleiben, hätte ich persönlich auch ein großes Problem. Ich könnte mich nicht mehr vor denjenigen blicken lassen, die hier in der Bundesrepublik zum Teil unter Polizeischutz stehen – aus Angst vor Racheakten der PKK. Diese Menschen hoffen, daß Gerechtigkeit vollzogen wird.

Ihr Kollege, der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Willfried Penner, hat für eine Auslieferung von Öcalan plädiert. Handelt Rot-Grün in dieser Frage nicht konfus?

Wir haben tatsächlich ein Problem. Derzeit sind SPD und Bündnisgrüne auf der Suche nach einer Lösung. Zum einen geht es um die Opfer, die auch hier in Deutschland leben. Zum anderen müssen wir aber klar der türkischen Seite signalisieren, daß die Position, die wir gegenüber Öcalan einnehmen, nicht auf eine Reinwaschung ihrer Position hinausläuft. Für den Krieg im Südosten der Türkei ist nicht allein die PKK verantwortlich. Im Gegenteil, die PKK ist das Produkt der türkischen Assimilationspolitik gegenüber den Kurden.

Aber wenn Öcalan nicht straffrei ausgehen soll, wo soll ihm dann der Prozeß gemacht werden?

Das wird geprüft.

Wird es einen Prozeß in einem dritten Staat geben, also außerhalb Italiens oder der Bundesrepublik?

Verschiedene Modelle sind durchaus vorstellbar. Öcalan selbst hat ja in seiner Hauspostille den Internationalen Gerichtshof in Den Haag ins Gespräch gebracht. Daran sollten wir uns halten.

Am einfachsten wäre es, Italien lieferte Öcalan an die Türkei aus. Auf keinen Fall werden wir einem solchen Schritt zustimmen. Ein Land wie die Türkei, das innerhalb einer Woche die Todestrafe abschaffen will, kann sie auch innerhalb einer Woche wieder einführen. Meine These ist zudem, daß die Türkei gar kein Interesse an einer Auslieferung hat. Das zeigt die Äußerung des türkischen Staatspräsidenten Demirel, der erklärt hat, die Abschaffung der Todesstrafe sei mit Rücksichtnahme auf die Gefühle der Menschen nicht möglich. Interview: Severin Weiland