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Ein langwieriges Unterfangen

Das Bild vom verlotterten, abgehobenen Geisteswissenschaftler stimmt längst nicht mehr. Doch in der Wirtschaft bekommen sie nur schwer einen Fuß in die Tür  ■ Von Jeannette Goddar

Es ist ein gern bemühter Mythos: Daß Heerscharen von Politologen, Soziologen und Germanisten nur so vor sich hin studieren und sich nicht um ihre Zukunft scheren. Glauben, daß sie entweder als hochbezahlte Dichter und Denker doch noch in die Geschichte eingehen oder daß Taxifahren eigentlich eine prima Sache ist. Wer aber einen Blick in die Hörsäle der immer noch viel verspotteten Geisteswissenschaftler wirft, dem drängt sich der Eindruck auf, daß auch hier die etablierte, zukunftsorientierte Studentenschaft längst Einzug gehalten hat.

Da läge es nahe, wenn sich die freie Wirtschaft um den geisteswissenschaftlichen Nachwuchs kümmern würde. Geisteswissenschaftler gelten als teamerfahren und konfliktfähig, als flexibel im Denken und kommunikationsgewandt. Das sind schließlich die Qualitäten, die sie in ihrem Studium über unzählige Arbeitsgruppen, Referate und Hausarbeiten vermittelt bekommen.

Deutsche Unternehmen beklagen laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) bei ausgebildeten Betriebswirtschaftlern „fehlende soziale und kommunikative Fähigkeiten“ sowie „mangelnden Praxisbezug“. Und: „Die Nachfrage nach sozial- und geisteswissenschaftlichen Wissenssorten und Kompetenzen in deutschen Wirtschaftsunternehmen hat in den letzten zwanzig Jahren deutlich zugenommen.“

Auf dem Stellenmarkt bleiben jedoch Vorzeigefälle wie der Philosoph, der im Auftag des ABB- Konzerns in Moskau neue Märkte erschließt, oder der Politologe, der die Personalpolitik der Deutschen Bank mitbestimmt, seltene Ausnahmen. In Stellenanzeigen liegt der Haken für Geisteswissenschaftler oft im Kleingedruckten: Zwar werden Stellen heute häufiger als früher allgemein ausgeschrieben – gesucht werden „Personalchefs“ oder „Projektkoordinatoren“ –, im Anforderungsprofil heißt es dann aber: „mit mehrjähriger Erfahrung im Management“, „Betriebswirt oder Jurist mit Erfahrung im Personalwesen“ oder „mit Berufserfahrung aus mittelständischen Unternehmen“.

„Es ist ein langwieriges Unterfangen, Geist und Technik miteinander zu verbinden“, konstatiert Karl-Heinz Minks vom Hannoveraner Hochschul-Informations-System (HIS). Hemmschwellen bei der Annäherung sieht Minks, der seit Jahren Absolventenstudien durchführt, auf allen Seiten: Einerseits würden viele Entscheidungen auf Vorstandsebene „von Juristen gefällt, und die bevorzugen nun einmal Juristen“, andererseits bedeute es sehr viel Überwindung für die Hochschulen, sich der anderen Seite anzunähern. Laut Absolventenbefragung von 1995 fand jeder dritte Magister seinen Arbeitsplatz im Sektor Kultur, Medien, Verlage, 26 Prozent in Hochschule und Forschung, 23 Prozent im Bereich Dienstleistung. Lediglich 5 Prozent kamen im produzierenden oder verarbeitenden Gewerbe unter. Mehr als ein Drittel war ein Jahr nach Ende des Studiums in einer Weiterbildungsmaßnahme oder arbeitete an einer Promotion. 16 Prozent hatten Übergangsjobs, 10 Prozent Werkverträge.

Doch an den Hochschulen hat das Umdenken längst begonnen: An rund dreißig Universitäten gibt es Initiativen, die Geisteswissenschaftlern durch frühzeitige Annäherung an die Wirtschaft den Berufseinstieg erleichtern möchten (siehe Seite 31). Sie vermitteln Zusatzwissen in BWL, Marketing oder EDV, trainieren Präsentation und Rhetorik, organisieren Bewerbertrainigs, Workshops und Praktika. Sie verweisen allesamt auf ihre Praxisnähe – und darauf, daß sie den Studenten unabdingbare Qualifikationen vermitteln, die an deutschen Hochschulen viel zu kurz kommen.

Daß an den Universitäten einiges im argen liegt, gibt mancher Professor unumwunden zu: „Wir haben am OSI noch nicht begriffen, daß die Vorstellung von Erwerbsbiographie sich auch in traditionellen Bereichen verändert hat“, sagt Peter Grottian, Sozialökonom am Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.

Gerade die Tatsache, daß von staatlicher Seite viele originäre Aufgaben heute an politik- oder sozialwissenschaftlich orientierte Dienstleister weitergegeben würden, biete enorme Chancen für Geisteswissenschaftler. „Die Studenten auf den Dienstleistungsmarkt oder auf eine Existenzgründung vorzubereiten, ist sicher sinnvoll“, sagt Grottian. Andererseits warnt er vor der Einheit von Praxis und Theorie. „Wer die Praxis verändern will – und das wollen Geisteswissenschaftler häufig –, der braucht auch die Distanz.“

Auch bei den Unternehmen haben sich zahlreiche Traditionen eingespielt, die gegen eine maßgebliche Beschäftigung von Geisteswissenschaftlern sprechen: Im industriellen Zweig kommen etwa fünfzig Prozent derer, die in der Führungsetage sitzen, von „unten“, haben sich etwa vom Schlosser oder Industriekaufmann hochgearbeitet.

Und in der freien Wirtschaft gibt es laut Institut der Deutschen Wirtschaft einen „Nachzieheffekt“, der einen berufssoziologischen Hintergrund hat: Betriebswirte stellen bevorzugt Betriebswirte, Juristen bevorzugt Juristen ein. Bis eine größere Gruppe Politologen bevorzugt Politologen zu Managern macht, ist es eben noch ein weiter Weg.

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