: Israelis fordern Abzug aus dem Südlibanon
Die Hisbullah hat eine neue Offensive gegen israelische Truppen in der sogenannten Sicherheitszone gestartet. Selbst Außenminister Ariel Scharon befürwortet inzwischen einen etappenweisen Abzug ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen
Alexei Jermenko hat bei einem Granatenbeschuß seiner Stellung im Süden Libanons beide Beine verloren. Seine Eltern sind aus Rußland eingeflogen worden, um an seiner Seite zu sein. Am Sonntag wurde ihnen in einem beschleunigten Einbürgerungsprozeß die israelische Staatsbürgerschaft verliehen.
Opfer wie ihr Sohn sind fast unvermeidlich. Obwohl stark verbarrikadiert, liegen die israelischen Stellungen in der sogenannten Sicherheitszone unter ständiger Beobachtung und gelegentlichem Beschuß der Hisbullah. Eine militärische Lösung hat die israelische Armee noch nicht gefunden. Besonders gefährlich sind Patrouillenfahrten. Immer wieder sterben Soldaten durch Straßenbomben der Hisbullah. 14 der 22 in diesem Jahr im Süden Libanons getöteten Israelis fielen solchen Bomben zum Opfer, Dutzende wurden verletzt.
Israelische Experten vermuten einen Zusammenhang zwischen der jüngsten Offensive der Hisbullah und einem Besuch des geistigen Oberhauptes der Schiitenmiliz, Scheich Hassan Nasrallah, im Iran. Er habe seinen Geldgebern und Waffenlieferanten in Teheran die Schlagkraft seiner Truppe unter Beweis stellen wollen, lautet die These. Israelische Mütter demonstrierten am Wochenende vor der Residenz von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu für einen einseitigen israelischen Rückzug aus dem Südlibanon. Auch mehrere Knessetabgeordnete wie Jossi Beilin und Jael Dajan beteiligten sich an der Demonstration. Erstmals deutete Netanjahu selbst an, daß so schnell wie möglich über die Modalitäten eines israelischen Rückzugs verhandelt werden sollte. Selbst Außenminister Ariel Scharon, der einst den israelischen Einmarsch in den Libanon leitete, schlug einen stufenweisen Rückzug vor. Nach jedem Teilrückzug könne geprüft werden, ob die libanesische Armee die Sicherheit des Grenzgebiets zu Israel garantieren könne.
Gegner eines einseitigen Rückzugs argumentieren, der Hisbullah würde damit der Beschuß der israelischen Kibbuzim und Dörfer entlang der Nordgrenze ermöglicht. Befürworter halten dies für höchst unwahrscheinlich. Die Hisbullah, so ihr Argument, verlange nicht mehr als die Befreiung des libanesischen Südens von der israelischen Besatzung. Die „Befreiung Jerusalems“ sei dagegen auch in den Augen der Hisbullah Sache ihrer „palästinensischen Brüder“.
Vor acht Monaten erst hat die Regierung Netanjahu erstmals der UN-Sicherheitsratsresolution zugestimmt, wonach sich Israel bedingungslos aus dem Libanon zurückziehen muß. Netanjahu aber verlangt immer noch Sicherheitsgarantien von der libanesischen Seite. Diese kann Netanjahu jedoch nur erhalten, wenn er zuvor mit Syrien zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen ist. Über Syrien läuft nicht nur der Nachschub für die Hisbullah mit Waffen, Geld und Ausbildern aus dem Iran. Mit 35.000 im Libanon stationierten Soldaten kontrolliert Syrien auch die wichtigsten politischen Entscheidungen der libanesischen Regierung. Und für Syrien ist der Guerillakrieg im Südlibanon das Faustpfand, um Israel zu Verhandlungen über eine Rückgabe des Golan zu zwingen.
Die israelischen Soldaten, so Befürworter eines Rückzugs, sollten aus diesem Grunde nicht zu syrischen Geiseln gemacht werden, mit denen Syriens Präsident Hafis al-Assad Israel erpressen könne. Wenn die Hisbullah erst an der israelischen Grenze stehe, werde Assad sie nutzen, um Israel anzugreifen, antworten die Gegner. Ein einseitiger Rückzug – den laut Umfragen inzwischen 40 Prozent der Israelis befürworten – sei deshalb zu gefährlich.
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