: „Datteln essen gehört zum guten Ton“
Seit mehr als 300 Jahren gibt es in Berlin türkisches Leben: Die Ausstellung „Friedrich Wilhelm Hassan & Co.“ blickt zurück auf osmanische Würdenträger an der Spree, Kriegsverbündete und muttersprachlichen Unterricht für türkische Schüler und Lehrlinge ■ Von Jeannette Goddar
Die Berliner und Rixdorfer trauten ihren Augen kaum: Mit 71 Würdenträgern und Bediensteteten ritt der osmanische Botschafter Achmet Resmi Efendi am 9. November 1763 ein, in prachtvolle Gewänder gehüllt und gewillt, den deutsch-türkischen Beziehungen Nachdruck zu verleihen. „Die Preußen“, erinnert sich Efendi in seinen Aufzeichnungen, „die zeitlebens keinen Moslem gesehen und von solcher Pracht und solchem Pomp eines Gesandten nie auch nur dem Namen nach gehört hatten, kamen mit ihren Familien drei bis fünf Tagesreisen herbei.“ Den Preußen gefiel, was sie sahen.
Fortan – und zum Ärger seiner Majestät Friedrich II. – galt Türkisch in Berlin als chic: „Datteln essen gehört zum guten Ton“, mußte Friedrich II. wenig später konstatieren, „und die Gecken pflanzen sich einen Turban aufs Haupt.“ Kein Fasching verging, bei dem sich nicht zahllose Berliner und Berlinerinnen als Sultan oder Haremsdame zurechtdrapierten.
Es ist eine lange Geschichte, die die Berliner mit der Türkei verbindet. Friedrich Wilhelm Hassan und Friedrich Aly hießen die ersten namentlich bekannten Türken, die 1686 als Kriegsgefangene Berlin erreichten. Letzterer ist ein Vorfahr des heute für die Berliner Zeitung tätigen Journalisten Götz Aly. Nach ersterem wurde eine Ausstellung benannt, die den deutschen und türkischen Berlinern ihre gemeinsame Vergangenheit nahebringen soll: „Friedrich Wilhelm Hassan & Co. – Türken an der Spree 1686 bis 1960“.
In der Galerie am Körnerpark staunen deutsches Museumspublikum ebenso wie gutsituierte türkische Geschäftsleute. Und natürlich der Nachwuchs, der staunend vor Schautafeln feststellen muß, von einem „Osmanischen Reich noch nie etwas gehört zu haben“.
Der offizielle Teil der deutsch- türkischen Kontakte reicht bis ins Jahr 1761 zurück, als das erste Freundschaftsabkommen geschlossen wurde. Mehr als hundert Jahre später wurden in Berlin beim Berliner Kongreß die Ländergrenzen in Europa neu geordnet. Das Osmanische Reich wurde zusammengestutzt. Die große Zeit deutsch-türkischer Kontakte sollte erst noch folgen.
Scharenweise reisten in den folgenden Jahren preußische Militärs an den Bosporus, wurden türkische Offiziere zur Ausbildung nach Berlin geschickt. 1888 wurde den Deutschen das Projekt Bagdad-Bahn übertragen. Die Deutsche Bank, Krupp, Maffei, Borsig und Krauss wurden damit beauftragt, eine Bahnverbindung von Istanbul nach Bagdad zu bauen.
Nach der Revolution der Jungtürken 1908, die mit dem Völkermord an Kurden und Armeniern ihr Ziel eines großtürkischen Reiches durchsetzen wollten, schliefen die deutsch-türkischen Beziehungen zunächst ein, wenn auch nicht für lange: Mit Beginn des Ersten Weltkriegs ließ der in Deutschland ausgebildete „Militärtürke“ und Kriegsminister Enver Pascha sie in Form eines Bündnisses wiederaufleben.
1915 starteten Deutschland und die Türkei im Rahmen ihrer Waffenbrüderschaft im brandenburgischen Wünsdorf eine konzertierte Aktion: Auf verwaschenen Fotos sieht man dünne Gestalten zwischen zusammengezimmerten Baracken. Angestachelt von türkischen und deutschen Politikern, mit Hilfe von Koranstunden und Aufrufen zum Heiligen Krieg versuchten Deutsche und Türken gemeinsam, Kriegsgefangene aus den Kolonien der Kriegsgegner gegen ihre Herren aufzubringen. Das Projekt „Halbmondlager Wünsdorf“ scheiterte allerdings kläglich.
Zeitgleich schickte die jungtürkische Regierung in den Jahren 1916 bis 1918 1.500 Schüler und Lehrlinge nach Berlin. In braver Aufstellung ließen sich 1917 etwa 300 von ihnen in Mantel und Mütze von der damaligen Berliner Zeitung fotografieren. Sie wurden in „Türkenheimen“ untergebracht, genossen Sprachunterricht ebenso wie deutsche „Unterhaltungsstunden“, betreut von der Deutsch-Türkischen Vereinigung. Was den Besucher der Ausstellung stutzig macht: 1917 war es den jungen Türken noch möglich, ihre Muttersprache in Berlin zu lernen.
Nach dem Ende des Jungtürkischen Reiches flohen zahlreiche ehemalige Funktionsträger nach Berlin. Viele von ihnen waren maßgeblich daran beteiligt, daß schon in den 20er Jahren auch das türkische Leben blühte: Zeitungen wurden gegründet, türkische Clubs, türkische Studentenvereine. Trotz Hitlers Rassegesetzen brach der Kontakt auch im Dritten Reich nicht ab: Hunderte Türken studierten in den 30er Jahren an Berliner Universitäten.
Für viele junge Türken war Deutschland damals ein Traum: „Ich saß im Kranzler“, sinniert ein freundlicher älterer Herr vom Videoband, „und eine junge Dame setzte sich zu mir und unterhielt sich mit mir. Ich dachte, ich fliege vor Freude.“ Das war 1938, als Kemal Karaatli gerade als Maschinenbaustudent im Nazideutschland angekommen war. „Ich saß auf dem Savignyplatz, und eine ältere Dame fragte mich, woher ich komme, und sagte dann, ich müsse aber als Türke nicht auf der gelb gestrichenen Judenbank sitzen. Also bin ich aufgestanden.“
Umgekehrt nahm die Türkei auch Deutsche auf. Etwa 200 Akademiker wurden von der „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“ in die Türkei vermittelt und so vor dem Zugriff der Nationalsozialisten bewahrt. Berühmtester Berliner Exilant: der spätere Bürgermeister Ernst Reuter, dem von türkischer Seite attestiert wurde, den Türken mit seinen Sprachkenntnissen in nichts nachzustehen. Und wenige Jahre nach dem Krieg lud ein Berliner Imam die hundertköpfige Türkische Gemeinde in das Bethaus des Türkischen Friedhofs am Columbiadamm.
Die Ausstellung endet 1960, ein Jahr bevor die Bundesrepublik mit der Türkei das Anwerbeabkommen abschloß und damit den Startschuß für den ganz großen Umzug gab. Heute leben 137.000 Türken in Berlin, davon 133.000 im Westteil. Die meisten sind länger als zehn Jahre hier, viele bereits im Rentenalter. Sie haben an ihre Traditionen angeknüpft, mehr als 4.000 Betriebe gegründet, Hunderte Vereine, Moscheen, Zeitungen, Fernsehsender.
Dennoch macht ein Blick ins Gästebuch der Ausstellung deutlich, daß es noch immer nicht einmal möglich ist, einen Blick auf eine jahrhundertealte Geschichte zu werfen, ohne sich dem Vorwurf der Verklärung auszusetzen: „Durch Weglassen und Verschweigen der aktuellen Probleme“, ist dort von einem Besucher notiert, „werden diese nicht gelöst, sondern verschärft.“
„Friedrich Wilhelm Hassan & Co.“, Dienstag bis Sonntag 11 bis 20 Uhr, Galerie am Körnerpark, Schierker Straße 8, 12051 Berlin (Neuköllln). Bis 31. Januar 1999.
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