: Schweizer Alpenschutz verblaßt im Dieselruß
■ Die Einigung mit der Europäischen Union wird die Verkehrslawine durch die Schweizer Alpen noch vergrößern. Die Verfassungsbestimmung zum Alpenschutz bleibt auf der Strecke
Alle 15 Sekunden dröhnt an Werktagen ein schwerer Lastzug oder ein Sattelschlepper über die Gotthard-Autobahn, die Deutschland mit Norditalien verbindet. Im Unterschied zu noch stärker belaste(r)ten Autobahnen im Flachland sind am Gotthard aber nicht nur die direkten Anrainer der Transitstrecken betroffen. Denn der aufbrausende und abschwellende Lärm steigt in den engen Tälern bis weit in die Bergflanken hinaus, und das giftige Abgas sammelt und konzentriert sich im Talboden.
Hinter dem berüchtigten Brenner in Österreich ist der Gotthard der verkehrsreichste Alpenübergang zwischen Wien und Nizza: Eine Million schwere Lastwagen plus sechs Millionen Personenautos zählte man im Jahr 1997 auf dieser Transitroute, und dies trotz Begrenzung des zulässigen Gesamtgewichts der Lastwagen auf 28 Tonnen. Heute sind es wegen des 28-Tonnen-Limits vor allem leere oder mit leichten Gütern beladene Brummer, die den kürzesten Weg über den Gotthard wählen. Die schwerbeladenen 40-Tonner durchqueren die Schweiz entweder im Huckepack-Transport auf der Schiene oder wählen den Umweg über den Brenner in Österreich oder den Mont-Blanc- Tunnel in Frankreich.
Um die wachsende Verkehrslawine trotz des 28-Tonnen-Limits zu bremsen, hat das Schweizer Volk 1994 der Alpeninitiative zugestimmt. Diese verlangt, daß der gesamte alpenquerende Gütertransit von Grenze zu Grenze auf die umweltfreundliche Schiene verlagert werden muß. Um diese Verfassungsbestimmung flexibel und diskriminierungsfrei umzusetzen, hat die Schweizer Landesregierung 1996 beschlossen, den alpenquerenden Gesamtverkehr – also Transit-, Binnen-, Import- und Exportverkehr zusammen – ab dem Jahr 2005 auf 650.000 Schwerlaster pro Jahr zu begrenzen, was annähernd einer Halbierung gegenüber heute gleichkäme. Der übrige Gütertransport und der weitere Zuwachs, so die Intentionen der Regierung, sollen ab dem Jahr 2005 auf die Bahn verlagert werden, deren Kapazität durch die beiden neuen Bahnverbindungen durch Gotthard und Lötschberg ab dem Jahr 2008 stark erhöht wird.
Das wichtigste Mittel für diese Verlagerung bildet die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA), die das Schweizer Volk in diesem Jahr genehmigt hat. Als Kompensation zu dieser LSVA will der Bundesrat ab dem Jahr 2005 die Gewichtslimits generell auf das EU-Niveau von 40 Tonnen erhöhen, womit die Lenkungswirkung der LSVA zumindest teilweise wieder neutralisiert wird.
Diese verkehrspolitische Stoßrichtung wird durch das gestern beschlossene Verkehrsabkommen jedoch in zweifacher Hinsicht durchkreuzt: Einerseits ist die beschlossene Transitgebühr von maximal 390 Ecu oder 325 Schweizer Franken zu gering: Damit läßt sich die Schwerverkehrsabgabe von 1,20 Franken pro Kilometer Fahrt für einen 40-Tonner nicht voll ersetzen. Die Verlagerung der neuen 40-Tonner und eines Teils der heutigen 28-Tonner auf die Schiene kann damit nur gelingen, wenn der Bahntransport noch massiver als bisher subventioniert wird.
Andererseits muß die Schweiz ein großes Kontingent von 40-Tonnern bereits ab dem Jahr 2001 zulassen, bevor die Transitgebühr in Kraft tritt. Damit wird der alpenquerende Straßentransport durch die Schweizer Alpen in den nächsten Jahren begünstigt und deshalb weiter zunehmen. Der als „Durchbruch“ gefeierte Verkehrsvertrag, auf den die Minister der Schweiz und der EU sich gestern geeinigt haben, erweist sich damit als Bruch der Schweizer Bundesverfassung.
„Der Verkehrsvertrag bringt nicht weniger, sondern mehr Verkehr für die Alpen“, konstatiert denn auch Hans Kaspar Schiesser vom grünen Verkehrsclub der Schweiz (VCS), und der folgert: „Aus ökologischen Gründen müssen wir diesen Vertrag ablehnen.“ Auch mehrere Schweizer Umweltgruppen kritisierten den Vertrag: Die Schweiz werde damit das billigste Transitland durch die Alpen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Die Einnahmen würden nicht ausreichen, um den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern.
Das letzte Wort hat das Volk, das das Verhandlungsergebnis absegnen muß. Stimmen die Schweizer zu, so bedeutet dies einen klaren Rückschritt in der – im Vergleich zur EU fortschrittlichen – Verkehrspolitik. Hanspeter Guggenbühl, Zürich
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