: Technisch versierte Altlastensanierer
Stoltzenberg und Georgswerder, Naturschutzgebiete und Feuer-Fritze: Vor 20 Jahren wurde die Hamburger Umweltbehörde gegründet. Ein Rückblick ■ Von Gernot Knödler
Am 6. September 1979 kracht es in Stellingen. Als „kurzen, schnellen Schlag“ wird ein Bewohner des Hauses Lüdersring 137 die Explosion später beschreiben. Aus dem qualmenden Keller des Hauses schleppt sich ein 13jähriger Junge: „Geht alle weg, holt schnell die Polizei, wir wollen ins Krankenhaus.“ Zusammen mit zwei Kameraden hatte er Sprengstoffe ausprobiert, die sie auf dem nahegelegenen Gelände der ehemaligen Chemie-Fabrik Stoltzenberg gefunden hatten. Einer der Freunde muß den Fund mit dem Leben bezahlen. Der Stoltzenberg-Skandal markiert den Beginn der Altlastensanierung in Hamburg und erscheint wie eine Begleit-Fanfare zur Gründung der Umweltbehörde in Hamburg, die am 1. Dezember 1978 beschlossen und im Laufe des Jahres 1979 umgesetzt wurde. Nächsten Mittwoch werden die bisher fünf SenatorInnen auf einer Diskussionsveranstaltung in Vergangenheit und Zukunft blicken.
Der Fall Stoltzenberg sollte die Behörde ihre ganze Geschichte hindurch begleiten: Dieser Tage erst eröffnete der heutige Umweltsenator Alexander Porschke (GAL) einen Sperriegel, der verhindern soll, daß die Chemikalien vom Gelände der ehemaligen Giftgasfabrik das Wasserwerk Stellingen bedrohen (taz hamburg berichtete). Stoltzenberg steht auch für das, was die Umweltbehörde besonders gut beherrscht: den technischen Umweltschutz. Für Wasser, Boden und Luft werde heute wesentlich besser gesorgt als früher, sagt zum Beispiel Manfred Prügel vom Nabu (Naturschutzbund). Allein für die Flächen-Sanierung hat die Freie und Hansestadt Hamburg in den vergangenen 20 Jahren mehr als 500 Millionen Mark ausgegeben. Bis zum Jahr 2010 will der Senat alle Altlasten auf dem Hamburger Gebiet abschließend bearbeitet haben, was freilich nicht heißt, daß dann alles Gift aus dem Boden entfernt wäre: Es wird lediglich eingekapselt oder aufgefangen.
Unter die Altlasten aus mehr als 100 Jahren Industriegeschichte fallen Skandale von trauriger Berühmtheit wie die Funde des Seveso-Giftes Dioxin im Sickeröl der Mülldeponie Georgswerder 1983. Fast die Hälfte der 500 Millionen Mark für die Flächensanierung ging allein für Georgswerder drauf. Als Erfolg heftet sich die Umweltbehörde auch die Stillegung des Boehringer-Werkes in Moorfleet ans Revers: Bei Untersuchungen des Abwassers und der Abfälle wurde auch hier Dioxin gefunden. Boehringer konnte die daraufhin erteilten Auflagen nicht einhalten und mußte die Fabrik für Pflanzenschutzmittel schließen. „Damit wurde zum ersten Mal in Deutschland ein größerer Chemiebetrieb allein aus Gründen des Umweltschutzes stillgelegt“, bilanziert die Behörde.
Umweltschützer weisen allerdings auf die besonderen Umstände der Schließung hin: Nicht etwa die „massiven Bürgerproteste“, sondern die Absicht der Boehringer-Muttergesellschaft, das Werk ohnehin dicht zu machen, sowie juristische Fehler der Firma hätten dem damaligen Umweltsenator Wolfgang Curilla (SPD) den nötigen Handlungsspielraum verschafft, heißt es im Fünften Grünbuch Hamburg des BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland).
Trotzdem: Seit Ende der 70er Jahre rollte die Umweltwelle. Zwar gab es noch keinen BUND in Hamburg, der Nabu hieß noch DBV (Deutscher Bund für Vogelschutz), und „Rettet die Elbe“ gründete sich nur wenige Wochen vor der Umweltbehörde. „Der Nabu wird nächstes Jahr hundert“, ist das erste, was Manfred Prügel entfährt, als er auf das Behördenjubiläum angesprochen wird. Schon als er noch DBV hieß, habe sich der Nabu dafür eingesetzt, eine starke Umweltbehörde zu gründen. Das Ressort sei ins Leben gerufen worden, „weil es sicht- und fühlbare Umweltprobleme gab“, sagt Peter Mordhorst aus der Grundsatzabteilung. Zu diesen gehörten die Altlastenskandale ebenso wie der Wintersmog und die Qualität der Badegewässer.
Das neue Ressort startete unter dem bezeichnenden Namen „Behörde für Bezirksangelegenheiten, Naturschutz und Umweltgestaltung“ und wurde aus Abteilungen bestehender Verwaltungen zusammengebastelt: Die Kulturbehörde mußte das Naturschutzamt beisteuern, die Wirtschaftsbehörde die Landesforstverwaltung, die Baubehörde das Garten- und Friedhofsamt und die Gesundheitsbehörde die Leitstelle Umweltschutz. Erster Senator wurde Wolfgang Curilla, dem ein langfristiger, umfassender Ansatz zugeschrieben wird. Curilla baute die neue Behörde bis 1986 auf und wechselte dann zur Justizbehörde. Christine Maring (SPD) gab nur ein Zwischenspiel, schon 1987 reichte sie den Stab an den jetzigen SPD-Chef Jörg Kuhbier weiter, der 1991 von seinem Staatsrat Fritz Vahrenholt (SPD) abgelöst wurde. Mit Vahrenholts Ernennung verschob sich der Arbeitsschwerpunkt der Behörde vollends Richtung „technischer Umweltschutz“. Der Mann mit dem Spitznamen „Feuer-Fritze“ machte sich vor allem durch den Bau hochtechnisierter Müllverbrennungsanlagen einen Namen. Bundesweit weisen sie mit die niedrigsten Schadstoffwerte auf, müssen aber rund um die Uhr bollern, um sich zu rentieren. Für Manfred Prügel vom Nabu fällt das unter die Rubrik „falsche Entscheidungen“: Die „deutlich zu hohen Kapazitäten bei der Müllverbrennung“ förderten den Mülltourismus. Allein für den im Bau befindlichen Ofen am Rugenberger Damm sollen die Nachbarlandkreise jährlich 120.000 von insgesamt 320.000 Tonnen Müll zuliefern.
Die Umweltbehörde ist, an ihrem Jahresetat gemessen, die drittkleinste der Hamburger Senatsbehörden. Mit einem Haushaltsansatz für 1999 von 402 Millionen Mark liegt sie deutlich vor der Minibehörde für Stadtentwicklung, aber bereits hinter der Wirtschaftsbehörde mit 574 Millionen und erst recht hinter der Schulbehörde mit 3,9 Milliarden Mark. Mit ihren wachsenden Aufgaben ist auch die MitarbeiterInnenzahl auf inzwischen mehr als 1000 gestiegen.
Erst seit drei Jahren allerdings arbeiten fast alle unter einem Dach in der Billstraße 84. Bis dahin waren sie über die ganze Stadt verstreut in den Gebäuden ihrer Mutterbehörden untergebracht. Daß sich die Leute aus den verschiedenen Abteilungen der Umweltbehörde „jetzt auch mal über den Weg laufen“, habe die corporate identity deutlich verbessert, sagt der Behörden-Mitarbeiter Mordhorst. Die räumliche Nähe habe die Schlagkraft erhöht. Trotzdem kritisiert Hans Detlef Schulze vom BUND: „Kein Senator hat es geschafft, die verschiedenen Fachbereiche in einen ökologischen Gesamtansatz zu integrieren.“
Die Umweltbehörde habe im Vergleich zu den traditionsreichen Behörden eine schwache Position auf Senatsebene, urteilt Manfred Prügel. Bei großen Planungsvorhaben wie der Elbvertiefung oder dem Mühlenberger Loch zeige sich, daß die Wirtschafts- und die Baubehörde die Richtlinien der Politik bestimmten. Verschlechtert hätten sich die Handlungsmöglichkeiten der Behörde außerdem dadurch, daß sie die Landschaftsplanung an die Stadtentwicklungsbehörde (Steb) abgeben mußte, meint Schulze. Damit habe die Landschaftsplanung eine Lobby verloren, weil die Steb die Bauleitplanung und die Landschaftsplanung gleichermaßen im Auge behalten müsse. Immerhin lobt Manfred Prügel vom Nabu, daß Hamburg im Ländervergleich den flächenmäßig größten Anteil (5,5 Prozent) an Naturschutzgebieten vorweisen könne. Das sei beispielhaft. Den Autoren des Grünbuchs ist das aber nicht genug, weil in der Nachbarschaft „hektarweise Landschaftsschutzgebiete dem Wohnungsbau weichen“ müßten.
Das politische Umfeld ist schwieriger geworden. Die Leute interessierten sich weniger für Umweltprobleme, nicht zuletzt aufgrund der Erfolge seiner Behörde, glaubt Mordhorst. „Und die neuen Themen ,Klima, Artenschwund, Lebensstil' sind nicht so sichtbar.“
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