Kommentar: Chefsache
■ Bundeskanzler Schröder trifft sich heute mit den Atombossen
Dem geplanten Ausstieg aus der Atomenergie droht der 620-Mark-Gesetz-Effekt: Es soll schnell ein Zeichen der Entschlossenheit gesetzt werden. Jeder aus dem Regierungslager sagt etwas dazu, die Industrie schreit auf, droht, setzt die Lobbymaschine in Gang. Nachbesserungen hier und da, bis schließlich keiner mehr etwas vom Thema hören mag und der Kanzler mit einem seiner Schein-Machtworte das Thema vom Tisch fegt.
Kaum war der Entwurf des neuen Atomgesetzes fertig, da wurde es noch einmal zu Nachbesserungen zurückverwiesen ins zuständige Umweltministerium. Soweit bekannt, bleibt das Verbot der Wiederaufarbeitung im Text. Das hilft der strahlenverseuchten Nordsee, denn dort enden die Abwasserrohre der französischen und englischen Anlagen, die deutschen Atommüll aufbereiten. Gleichzeitig bringt es den Betreibern der Atomkraftwerke Profit. Abgebrannte Brennelemente einfach in Castoren neben dem Reaktor abzustellen ist viel billiger, als sie aufwendig chemisch zu behandeln.
Für die Strombosse sind diese Art von Spargeschenken allerdings ein zweischneidiges Schwert. Denn sie zahlen die Kosten für die Aufarbeitung nicht wirklich, sondern haben sie längst als Rückstellungen von der Steuer abgesetzt. Wenn die Wiederaufarbeitung nun offiziell wegfällt, muß wohl ein Teil der Milliardenrücklagen versteuert werden. Und das ist eine der ärgerlichsten Aussichten, die sich ein Unternehmer vorstellen kann.
Wohl auch deshalb trifft sich Bundeskanzler Gerhard Schröder schon heute mit Vertretern der Strombranche in Bonn – bevor das Atomgesetz in die Bundestagsausschüsse kommt und vor dem amtlichen Beginn der Konsens-Ausstiegsgespräche. Wenn es um soviel Geld geht, will man mit dem Chef selbst reden und nicht nur mit seinem Umweltabteilungsleiter Jürgen Trittin. Schließlich gibt es mit dem noch weitere Streitpunkte – wie die Betriebsdauer der Atomkraftwerke.
Jedes weitere Betriebsjahr bringt den Betreibern von Atomkraftwerken Milliarden. Schon deshalb hat Schröder von Anfang an gesagt, daß die Ausstiegsgespräche Sache des Kanzleramts sind. Es ist allerdings egal, was er den AKW-Betreibern heute zusichert: Im Konsens wird sich auf dem Atomsektor nichts bewegen. Denn die Branche ist nur zufrieden, wenn ihr Gewinn maximal ist, nicht einfach nur hoch. Reiner Metzger
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