: Die Macht der Mullahs wankt
■ Die Morde an Intellektuellen und Schriftstellern im Iran zeigen: Die Islamische Republik steht vor einer fundamentalen Krise
Im Iran herrscht kein Krieg, auch kein Bürgerkrieg. Es gibt auch keine bewaffneten Terrororganisationen wie die der Islamisten in Algerien. Ein riesiger Machtapparat – Militär, zahlreiche paramilitärische Organisationen, Polizei und Geheimdienst – kontrolliert unter dem Befehl des Revolutionsführers das Land.
Wer kann es glauben, daß innerhalb eines Monats acht politische Morde stattfinden, daß oppositionelle Schriftsteller, intellektuelle und Politiker in ihren Wohnungen überfallen und bestialisch ermordet oder am hellichten Tag verschleppt, gefoltert, erwürgt oder erdrosselt werden und die staatlichen Organe davon nichts merken? Es gelingt ihnen nicht einmal, wenigstens in einem dieser Fälle eine Spur der Täter zu finden!
Die Anschläge seien im Auftrag ausländischer Mächte erfolgt, um den islamischen Staat zu diskreditieren, behaupten die Machthaber. Die Frage, welches Land ein Interesse daran haben sollte, oppositionelle Schriftsteller im Iran zu liquidieren, bleibt unbeantwortet.
Die Behauptung wird noch absurder, wenn man weiß, daß die Islamisten keine Unschuldslämmer sind. Spätestens seit dem Urteil im Berliner Mykonos-Prozeß ist doch nachgewiesen, daß Mordanschläge gegen Oppositionelle von den Führern des Gottesstaates geplant und in Auftrag gegeben werden. Auch jetzt deuten alle Anzeichen darauf hin, daß die Attentate von höchster Stelle angeordnet worden sind.
Als vor anderthalb Jahren bei der Wahl des Staatspräsidenten die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nicht für den Kandidaten der Islamisten, sondern für Chatami stimmte, fürchteten die Theokraten, die Macht werde ihnen aus den Händen gleiten. Und als der neugewählte Staatspräsident die Zügel der Zensur ein wenig lockerte, Kritiker des Regimes ihre Meinung öffentlich zu äußern begannen, begann eine Hetzkampagne, die in einer Serie von Morden ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat.
Der Kommandant der Revolutionswächter, Rahim Safawi, drohte, den Kritikern „die Zunge herauszureißen und die Köpfe abzuschlagen“, Killerkommandos der Organisation „Ansarollah“ stürmten die Redaktionen kritischer Zeitungen und Verlage, zahlreiche Redakteure wurden verhaftet. Der Revolutionsführer Chamenei bezeichnete die Kritiker als „Feinde der Revolution“ und „Agenten des Imperialismus und Zionismus“, drohte ihnen mit Vergeltung und machte sie damit zu Freiwild. Die Mordanschläge waren die logische Folge dieser Hetzkampagne.
Die Führer des Gottesstaates plagt die Furcht, ihre Macht zu verlieren. Denn sie stellen fest, daß das Volk ihren Staat nicht mehr will. Sie wissen zu gut, daß das Votum vor anderthalb Jahren weniger der Person Chatamis galt als dessen Versprechen, eine freie, offene, gerechte, zivile Gesellschaft zu bilden. Das Votum war eine deutliche Absage an das System des velajate faghieh, das System der absoluten Herrschaft der Geistlichkeit. Spätestens seit dieser Wahl wissen die Islamisten, daß mit diesem Volk kein Staat mehr zu machen ist, es sei denn mit Hilfe von Gewalt. Daher mußte der Liberalisierung, die Chatami nach seiner Wahl einleitete, rasch ein Ende gesetzt werden.
Die nun Ermordeten sind die ersten Opfer einer sich verschärfenden Konfrontation zwischen dem islamischen Staat und nahezu der gesamten Bevölkerung. Chatami ist zwischen diese beiden Mühlsteine geraten. Er ist die Verkörperung des Widerspruchs, der dem System von Anbeginn anhaftet und sich nun in einem rasenden Tempo zuspitzt, des Widerspruchs zwischen einem parlamentarischen System, das die Gewaltenteilung akzeptiert, und der absoluten Herrschaft des velajate faghieh, jener Instanz, die laut Verfassung im Auftrage Gottes handelt und mit uneingeschränkter Macht ausgestattet ist. Die Verfassung der Islamischen Republik läßt die Frage offen, ob das Volk aus Schafen besteht, die von einem Hirten im Auftrag Gottes gezüchtet werden, oder aus autonomen BürgerInnen, die über ihr Schicksal selbst bestimmen können.
Chatami will einerseits den Gottesstaat bewahren und andererseits eine zivile, pluralistische Gesellschaft gründen. Damit steht er vor einem unlösbaren Widerspruch. Man kann ihn weder mit den reaktionären Islamisten in einen Topf werfen und ihn der Mittäterschaft bei den Mordanschlägen bezichtigen – eine meiner Auffassung nach völlig absurde These, die auch kürzlich von Faradsch Sarkuhi in dieser Zeitung vertreten wurde –, noch läßt er sich unter die Demokraten einreihen, die völlig zu Recht die Trennung von Religion und Staat als unabdingbare Voraussetzung einer zivilen Gesellschaft betrachten.
Die Zwickmühle, in der der Staatspräsident steckt, macht ihn handlungsunfähig. Er spricht zwar, wie neulich vor Studenten, von einem „islamischen Faschismus“, der dem Staat und dem Islam größeren Schaden zufügt als alle bekannten äußeren und inneren Feinde. Aber er läßt die Wurzel des Übels, das System des velajate faghieh, unangetastet. So kommt es, daß er der Wucht der nun freigesetzten Gewalt bislang nichts als schöne Reden entgegenzusetzen vermochte.
Hinzu kommt, daß ihm die Macht des Staates nicht zur Verfügung steht. Das einzige Mittel, das er besitzt, ist die Unterstützung der Bevölkerung. Setzt er dieses Mittel ein, riskiert er einen Bürgerkrieg mit furchtbarem Blutvergießen und ungewissem Ausgang. Wirft er das Handtuch, räumt er den Platz für jene Hardliner, die seit langem im Hinterhalt auf ihre Chance lauern. Will er aber sein Amt behalten, kann er sich nicht mehr mit Reden begnügen, sonst läuft er Gefahr, daß sich die enttäuschten Massen von ihm abwenden. Er muß zu wirksamen Gegenmaßnahmen greifen.
Im Augenblick vollzieht sich im Iran ein qualvoller, blutiger Prozeß, der weitaus wichtiger ist als die Bewegung, die zum Sturz der Monarchie führte. Es geht um den Islam und dessen Trennung vom Staat, es geht um die Neugeburt eines säkularen Staates, um den Sprung von der Tradition in die Moderne. Gelingt dieser Sprung, dann hat er für die gesamte islamische Welt weitreichende Konsequenzen.
Betrachtet man die politische Bühne Irans aus der Ferne, so sieht man auf der einen Seite Islamisten diverser Schattierungen, die mit aller Gewalt den längst begonnenen Zerfallsprozeß ihres Gottesstaates aufhalten wollen, auf der anderen Seite die überwiegende Mehrheit des Volkes, die nach Freiheit schreit. Dazwischen steht ein machtloser Staatspräsident, der vor den Konsequenzen seiner eigenen Worte zurückschreckt.
In diesem verwirrenden Kräftespiel kommt eine weitere wichtige Komponente hinzu: die Rolle des Auslands. Im Gegensatz zu den Zeiten Chomeinis sind die Führer der Islamischen Republik dem Ausland, namentlich Europa, gegenüber stark sensibilisiert. Das hat in erster Linie wirtschaftliche Gründe. Der Iran ist zur Zeit so gut wie pleite. Eine selbst zu Schahs Zeiten unvorstellbare Korruption und der drastische Rückgang der Öleinnahmen, verbunden mit einer haarsträubenden Mißwirtschaft, haben das Land ruiniert.
Der Iran ist existentiell auf Hilfe und Kredite von außen angewiesen. Zur Zeit verhandelt die iranische Regierung mit Deutschland und Italien über die Vergabe von Krediten in Höhe von 3 Milliarden Mark. Hier läßt sich wirksam ein Hebel ansetzen. Gäbe es die Möglichkeit einer gemeinsamen Iranpolitik der EU-Staaten, dann könnte unverzüglich eine EU-Delegation in den Iran reisen mit dem Auftrag, dort unzweideutig klarzustellen, daß die Gewährung jeglicher Hilfe die Einhaltung der Menschenrechte, die Aufklärung der Mordanschläge und den Schutz der Gefährdeten voraussetzt.
Zudem sollten die Staaten der EU endlich erkennen, daß der Iran nicht allein aus der jeweiligen Regierung besteht. Wenn sie eine Veränderung im Iran befürworten, dann müssen sie auch die Opposition im In- und Ausland registrieren und sie ernst nehmen.
Die neue deutsche Bundesregierung hat unmißverständlich die Einhaltung der Menschenrechte und die Achtung demokratischer Prinzipien zu einer der Maximen ihrer Außenbeziehungen erklärt. Der Iran kann ein erstes Exempel darstellen. Ich kann nur sagen: Hic Rhodus, hic salta – hier ist Rhodos, hier springe! Bahman Nirumand
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